Die Loge in Aufruhr
»Er ist MEIN Vater. Er hat MICH geliebt! Und nur … ausnahmslos deinetwegen …«
Die Worte hingen zwischen ihnen, ein unvollendetes Gemälde tiefster Verzweiflung. Taoh, dessen Worte wie scharf geschliffene Klingen durch die Stille schnitten, offenbarte die zerklüftete Landschaft seines geschundenen Herzens mit einer Rohheit, die Zelia und den verwirrten Jungen bis ins Mark erschütterte.
»Erzähl mir nichts … von Verbundenheit! Du verdankst dein Leben … nur …«, stammelte er heraus, die Stimme brüchig, als würden die Laute selbst die Wunden seines Herzens aufreißen.
»Taoh! Das reicht!«
Zelias Mahnung war eindringlich, doch vergebens. Er nahm sie nicht wahr. Jegliche Worte verloren an Bedeutung, während bittere Tränen seinen Blick trübten.
»… NUR meinem Vater, der dich nicht mal kannte und nur aus Mitleid sein Leben riskierte, weil DEINE Eltern den Verstand nicht hatten, dich von den Höhlen fernzuhalten!
NEIN, SIE HABEN DICH SOGAR MITGENOMMEN! UM DICH ZU VERKAUFEN!«
Ein lautes Klatschen durchbrach die Stille des Hauses. Seine Wange glühte, als wäre sie dem Feuer zu nahe gekommen; eine brennende Empfindung, die sich rasch über sein Gesicht ausbreitete.
Zelia, mit einer Hand noch in der Luft, verharrte in Starre, unfähig zu glauben, dass gerade ihre Hand diese Geste vollzogen hatte. Ein Moment des Unglaubens, während die Stille zwischen ihnen zu einem schier unüberwindbaren Abgrund anschwoll.
Ihre Augen, weit aufgerissen in der Erkenntnis ihrer eigenen Handlung, suchten im direkten Anschluss an die Realisation flehend nach Vergebung, als sie nach Taoh griff. Doch Taoh, entzog sich ihr, mit einer Entschiedenheit, die seine zierliche Statur Lügen strafte.
Die Luft zwischen ihnen knisterte, geladen mit unausgesprochenen Worten und verschluckten Emotionen, ein unsichtbarer Schleier, der plötzlich zerriss.
»Und jetzt?«, flüsterte Taoh geistesabwesend. »Jetzt willst auch du nur noch den Verfluchten schützen? Hä? Und was ist mit uns? Was ist mit mir?«, fragte er, jedes Wort scharf und zielsicher und zerstörend zugleich.
Taoh, dessen junge Züge im flackernden Licht der Kerzen nun hart und entschlossen wirkten, machte einen kleinen, aber bestimmten Schritt zurück. Seine Augen, einst voll kindlicher Wunder, waren inzwischen Schilde, hinter denen eine verwundete Seele Schutz suchte.
Er schluckte schwer, die Konturen seines Gesichts im Kerzenschein gezackt und scharf, als er sich umdrehte und mit festen Schritten den Raum verließ und davoneilte. Jeder Schritt hallte nach in dieser Kluft, die sich zwischen ihnen aufgetan hatte.
»Taoh!«
Zelia machte einen Schritt auf ihn zu, beschleunigte ihre Schritte, drehte sich kurz um und ihr Blick fiel ein letztes Mal auf den Jungen, der in den zerwühlten Laken des Bettes lag.
»Ich erkläre dir später alles! Erhol dich erst mal!«
Ihre Stimme war brüchig, zerrissen unter der Last der Emotionen, die in ihr tobten. Mit diesen Worten eilte sie hinaus, ihre Schritte hallten im Flur wider, begleitet von einem leisen Chor aus Sorge und Tränen, die unaufhaltsam ihre Wangen hinabflossen. Die Tür schwang leise hinter ihr zu, ein sanfter, fast unhörbarer Abschied von der Szene des Schmerzes.
Der Junge erstarrte, fixierte die Tür. Gedanken peitschten durch sein Bewusstsein — wild, unaufhaltsam. Schockiert, von Emotionen überwältigt, saß er regungslos, versuchte vergebens, das Gehörte zu einem sinnvollen Ganzen zu verknüpfen.
Was sollte all das bedeuten? Die Frage nagte an ihm, bohrte sich tief in sein Innerstes und ließ sein Herz schwer werden. War seinetwegen tatsächlich jemand zu Schaden gekommen? Die Schwere dieser Vorstellung drückte auf seine Brust, ließ ihn schwerer atmen. Mit jeder Sekunde, die verstrich, wurde die Last dieser Möglichkeit erdrückender, ein Gewicht, das seine Schultern nach unten zog und ihm den Atem raubte. Seine Finger krallten sich in die Bettdecke, suchten verzweifelt nach Halt in diesem Strudel der Ungewissheit.
Ein Meer quälender Fragen, jede Welle ein gnadenloser Schlag gegen das zerbrechliche Gerüst seiner Gedanken. Unerbittlich brandeten sie über ihm zusammen, ließen keinen klaren Gedanken zu und drohten, ihn in die Tiefe zu reißen.
Während die Stille des Hauses von den Nachwehen der enthüllten Geheimnisse und verschwiegenen Opfern widerhallte, saß der Junge einsam und verloren in diesem rätselhaften Zimmer. Um ihn herum tanzten die bunten Schatten, die durch das einzelne Fenster hereinfielen und die Wände in ein mystisches Licht tauchten. Sein Blick verlor sich in der Ferne.
Dort breitete sich die Stadt Naraka aus, jenes Labyrinth aus Gassen und Geheimnissen, beleuchtet von diesen merkwürdigen Pflanzen, die an den Wänden der Höhlenstadt wuchsen. Die Luft war durchtränkt von einem Gefühl der Erwartung, als ob die Stadt selbst den Atem anhielt, wissend, dass sich das Schicksal eines ihrer Kinder am Wendepunkt befand.
In der Ferne erklangen die Geräusche der Nacht: das leise Plätschern von den Decken der Höhle, das Summen kleiner Glühwürmchen, die einander in den Schatten suchten, und das gelegentliche Rascheln der Vegetation im seltenen Wind. Dennoch lag über all diesen natürlichen Klängen eine Stille, die mehr sagte, als jedes Geräusch es könnte – eine Stille, die von den bevorstehenden Ereignissen kündete, die sich unter der Oberfläche zu regen begannen.
Im Schutze dieser unwirklichen Stille, schlich sich eine Gestalt durch die verwinkelten Gassen, getrieben von einer Entschlossenheit, die in den tiefen Falten ihres Mantels verborgen lag.
Eine Schattenfigur, gegen das flackernde Licht der Stadt, bewegte sich mit einer Präzision und einem Zweck, der keine Zweifel an ihrer Mission ließ. Jeder Schritt war bedacht, jede Bewegung ein Teil eines größeren Plans, der sich langsam entfaltete.
Die Gestalt huschte an den schlummernden Behausungen vorbei, deren unwissende Bewohner von Träumen heimgesucht wurden. Schließlich erreichte die verhüllte Gestalt ihr Ziel: eine unscheinbare Markierung in der Wand, so gut versteckt, dass sie jedem flüchtigen Blick entgehen würde. Nichts als ein Kratzer. Dennoch war es für diejenigen, die wussten, wonach sie suchten, war es das Tor zu einer anderen Welt.
Fast unmerklich änderte sich die Atmosphäre. Die Stille, die bisher nur von den natürlichen Geräuschen der Ruhezeit durchbrochen worden war, wurde nun von einem leisen, doch unverkennbaren Klang unterbrochen; dem Flüstern von Stimmen, die aus den Tiefen der Wände zu kommen schienen. Dieses geisterhafte Wispern war keine gewöhnliche Komponente des nächtlichen Orchesters von Naraka; es war vielmehr ein stummer Zeuge der Tatsache, dass einige Seelen der Stadt sich dem Ruf des Schlafes entzogen hatten.
Mit einer Serie rhythmischer Klopfer auf die verborgene Markierung öffnete sich wie von Zauberhand ein schmaler Spalt in der Wand. Ein letzter, misstrauischer Blick in die umgebende Dunkelheit, dann schlüpfte die Gestalt hinein, aufgesogen von den Schatten.
Im Inneren entfaltete sich eine Kammer, erleuchtet vom sanften Schimmern zahlreicher kleiner Kristall-Obelisken, deren Licht ein beruhigendes, fast hypnotisches Glühen in den Raum warf.
Gesichter, gezeichnet von der Schwere unzähliger Sorgen und schimmernder Hoffnung, wandten sich der neu angekommenen Gestalt zu. Ein stummes Einverständnis lag in ihren Blicken, eine ungesprochene Übereinkunft, dass die Stunde des Handelns gekommen war.
»Berichten zufolge befand sich einer der Sieben unter den Opfern«, tuschelte eine Stimme, erfüllt von tiefer Sorge.
»Und nun wimmelt es in der Stadt von Zu-Kur! Mörder, Vergewaltiger, Diebe!«, hetzte ein anderer, seine Stimme ein scharfer Klang in der sonst so gedämpften Atmosphäre.
Als schließlich alle den Neu-Ankömmling bemerkten, verstummte die gesamte Versammlung und blickte erwartungsvoll. Ein tiefes, rotes Glühen, kaum sichtbar unter der Kapuze des Eintretenden, warf tiefe Schatten auf sein vernarbtes, entschlossenes Gesicht.
Der Erwartete hatte nicht einmal seinen Weg in die Mitte des zurückgelegt, und doch war das Gefühl unausweichlich, dass, was auch immer hier beschlossen wurde, bei Erwachen der Stadt eine andere Welt tauchen würde.
Seine Präsenz in der Kammer, bisher nur ein flüsterndes Geheimnis, wurde indessen zur unbestreitbaren Wirklichkeit. Gebannt blickte die kleine Runde in dem schwach beleuchteten Raum auf den Erwarteten.
»Die Sibbitti entsenden mich!«, eröffnete er sogleich, als er die Mitte des Raumes erreicht hatte. Neben ihm ein kleines Podest, dessen er sich nicht bediente. Diese imposante Gestalt gehörte einem Mann, dessen muskulöse Statur selbst durch die vielen Schichten seiner Kleidung und Mäntel hindurch erkennbar war.
Sein von Narben durchzogenes Gesicht zeugte von unzähligen Kämpfen, seine Augen von einer stetigen Konfrontation mit der Vergänglichkeit – die unverkennbaren Augen eines Menschen, der jede Unschuld verloren hatte. Stets mit einem Ausdruck höchster Konzentration, als wäre er zu jeder Stund in das Studium komplexer Werke vertieft.
»Ich bringe Nachrichten, die unsere unmittelbare Aufmerksamkeit erfordern«, begann er, seine Stimme ruhig, doch durchdrungen von einer Dringlichkeit, die keinen Widerspruch duldete. »Die Ereignisse, die sich außerhalb unserer Mauern abspielen, sind nicht einfach zufällige Unruhen. Sie sind das Symptom eines weitaus tieferen Übels, das sich in den Tiefen von Xibalba ausbreitet.«
Ein kollektives Luftholen ging durch die Runde, als die Implikationen seiner Worte einsanken. Furcht und Unglaube spiegelten sich auf den Gesichtern wider. Jeder Anwesende spürte die Bedeutung seiner Botschaft, die Dringlichkeit, die in seiner Stimme mitschwang. Die leicht glühenden, roten Augen unter der Kapuze wanderten von Gesicht zu Gesicht, analysierten, suchten.
»Was meint Ihr mit einem tieferen Übel?« wagte einer der Anwesenden zu fragen, seine Stimme mehr ein Jammern, als eine Frage. »Welche Dunkelheit breitet sich in Xibalba aus?«
Die Versammlung, zuvor ein Meer aus flüsternden Stimmen und unterdrückter Unruhe, hing nun erneut an seinen Lippen, gefangen von der Ernsthaftigkeit seiner Worte und der Autorität, mit der er sprach.
Er hielt inne, seine Worte sorgfältig abwägend:
»Ein heimtückischer Überfall hat stattgefunden. Unser aller Albtraum ist eingetreten: Es war taktisch und organisiert. Sie entwickeln Intelligenz.«
Seine Worte lösten erneut ein unheimliches Getuschel aus, ein Lauffeuer der Spekulation und des Entsetzens, das sich unter den Anwesenden ausbreitete. Unbeirrt fuhr er fort.
»Diese Wesen, die wir bisher als einfache Bestien abgetan haben, zeigen inzwischen eine Form von Organisation und Planung, die wir nicht ignorieren können«, fuhr er fort, seine Stimme tief und eindringlich. »Wenn wir nicht handeln, wenn wir nicht zusammenkommen und eine Verteidigung aufbauen, werden wir alle unter ihrem wachsenden Schatten fallen.«
Die Atmosphäre im Raum verdichtete sich weiter, getragen von der Schwere seiner Worte und der unweigerlichen Erkenntnis der drohenden Gefahr.
»Das Auffinden aller Zeugen und Überlebenden hat höchste Priorität. Wir benötigen jede Information zum Vorfall, die wir bekommen können!« Seine Stimme, fest und unerschütterlich, ließ keinen Raum für Zweifel an der Dringlichkeit dieser Mission. »Wir wissen auch nicht, ob Infizierte die Tore der Stadt passiert haben. Die nächsten zwei Tage besiegeln das Schicksal der Menschheit. Ich hoffe schwer, dass jedem Bewohner seine Verantwortung bewusst ist.«
Die Frage eines Anwesenden durchbrach die aufgeladene Stille: »Stimmt es, dass einer der Sieben unter den unzähligen Toten ist?« Schrecken und Sorgen zeichneten sich in dem fahlen Gesicht ab.
»Es braucht wesentlich mehr als dies, um einen Sibbitti zu vernichten«, antwortete der Mann mit einer Selbstsicherheit, die seine tiefen Kenntnisse und seine Rolle in dieser Angelegenheit unterstrich. »Sie entsenden mich, die Angelegenheit zu klären. Dazu benötigen wir die Überlebenden. Sie sind die Einzigen, die die Wahrheit bezeugen können. Es gibt Hinweise darauf, dass Personen den Angriff von Anfang an gesehen haben könnten! Wenn es einmal vorkam, so wird es wieder passieren. Und nächstes Mal haben wir vermutlich nicht das Glück, dass sie vor den offenen und unbesetzten Toren der Stadt haltmachen.«
Ein Mann in imposanter Kleidung und Goldschmuck warf spöttisch ein: »Und was ist mit all den Zu-Kur, die sich nun in der Stadt aufhalten? Wachen haben vor Angst ihre Posten verlassen. Wir können von Glück reden, dass die Stadt nicht überlaufen wurde von dieser Horde an Ghouls. Wozu haben wir denn ausgebildete Kymisten dort postiert? Die Kristalle hätten wir uns sparen können.«
»Eure Kymisten haben wahrlich versagt. Doch selbst mit einem Ghoul wären sie nur in einer Gruppe fertig geworden. Das hat mit der Ausbildung nichts zu tun. Das liegt in der Natur der Dinge selbst … Ich werde mich derer annehmen, die desertiert sind. Sie werden zur Strafe zu Zu-Kur ernannt!«
Ein erleichtertes Gelächter durchzog den Raum. »Welch Ironie, erst laufen sie vor den Monstern der Höhle weg und nun können sie für den Rest ihres Lebens unter ihnen weilen, ha!«
»Bezüglich der Zu-Kur: Ich werde mit Hilfe eurer Auranen all jene mit schwarzer Aura aufspüren!«, verkündete der Mann zuversichtlich. Die Augen der Versammlung wanderten gespannt zu einer Person am anderen Ende des Raumes. Dort erklang schließlich die Stimme eines älteren Mannes.
»Euer Plan, jeden Verdächtigen mit der Hilfe der Auranen, jenen Kymisten, die in der Lage waren, die Aura eines Menschen zu lesen, aufzuspüren, zeugt in der Tat von einer strategischen Vorgehensweise, die den aktuellen Krisen gerecht wäre«, stimmte die Person zu.
»Natürlich ist es das!«, bellte der Neu-Ankömmling zurück. Kurz trat betretene Stille im Raum ein. Die Gruppe gespannt, wie dieses Vergreifen im Tonfall geahndet werden würde. Doch ein Kommentar blieb aus. So fuhr der Mann fort:
»Was diejenigen betrifft, die … aus, nun ja, komplizierteren Gründen außerhalb leben … Ich schlage vor, dass jeder Aurane der Stadt zeitweilig die Befugnis erhält, jeden Menschen nach Belieben zu durchleuchten. Wer sich wehrt, wird unverzüglich mir zugeführt!«. Seine Entschlossenheit ließ keinen Zweifel daran, dass er bereit war, alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um die Sicherheit der Stadt zu gewährleisten.
Beim Lichtbringer, wie wollt ihr alleine gegen eine unbekannte Anzahl an Zu-Kur ankommen? Die fangen bestimmt bereits an, sich zu organisieren, und viele von denen, die lang genug überleben, sind talentierte Kymisten. Nur mit dem feinen Unterschied, dass sie durch ihre tägliche Konfrontation mit der harten Welt da draußen, wesentlich besser trainiert sind als unsere«, stellte die Person in der anderen Ecke des Raumes infrage, im geschickten Versuch, den fremden zu zwingen, sich preiszugeben – herauszufinden, ob die Anmaßung gerecht war.
»Die besten der Besten, auserkoren durch natürliche Selektion unnatürlicher Wesen!«, sprach einer der Anwesenden, bedacht auf gehobenes Gehabe.
In diesem Moment erleuchteten die roten Augen den Raum mit solcher Kraft, dass der Raum selbst in anderem Lichte erschien, während er nach seiner Kapuze griff und diese hinabzog. Eine spürbare Druckwelle ging durch den Raum und hinter der rot schillernden Aura offenbarte sich ein streng gebundener schwarzer Zopf, mit einem buschigem Bart und schlauen, fuchsartigen Augen.
»TOKAT!«, rief einer der Anwesenden aus. »Was? Beim blauen Teufel! Er lebt?« Das Staunen mischte sich mit einem Hauch von Furcht.
Tokats Ruf als unerbittlicher Kämpfer und Meister der Kymatik war weit über die Grenzen von Naraka hinaus bekannt. Seine Rückkehr bedeutete für eventuell die Hoffnung auf eine Wende im Kampf gegen die Mutanten.
»Ach ja, wegen der Hexe … sie wird unter der Last der Nachfrage förmlich begraben sein, kaum wissend, an welchem Ende sie zu beginnen hat. Bei einem solchen Andrang dürfte es ein Leichtes sein, Aufschluss über ihren Aufenthaltsort zu erlangen. Jemand muss doch wissen, wo sie sich verbirgt, denn jeder wird nach ihr Ausschau halten. Es ist unabdingbar, dass ich mich persönlich um diese Angelegenheit kümmere. Ich stehe ihr noch in der Schuld...«, fügte Tokat hinzu, sein hämisches Grinsen verborgen unter der tief gezogenen Kapuze seines schweren Mantels, der in wilden Mustern spielte. Mit diesen Worten verschmolz er wieder mit der Dunkelheit, sein Schritt sicher und unbeirrt.
Die schwere Tür fiel mit einem dumpfen Klang hinter ihm ins Schloss, ein Widerhall, der sich kraftvoll und unheilvoll durch die stillen Gassen Narakas schlängelte, hinauf strebte und schließlich einen schmalen Vorsprung am Rande der Stadt erreichte.
Auf dieser majestätischen Klippe, die wie ein Wächter über die unterirdische Stadt thronte und wo Dämmerung und Zwielicht in ewiger Umarmung gefangen waren, erfasste das Echo Taoh in einem Moment tiefer Reflexion und ließ ihn kurz zusammenzucken.
Hier oben, umgeben von der Reinheit der kühlen Luft, die die Schwere des Höhlenlebens wie einen bösen Traum verscheuchte, verharrte die Zeit in ehrfurchtsvollem Schweigen. Moos und zarte Pilze umklammerten die kalten Felsen, ihre schüchterne Biolumineszenz tauchte Taohs grüblerisches Gesicht in ein Netz aus Schatten und Licht. In seinen Händen hielt er eine zierliche, liebevoll geschnitzte Holzfigur – ein Abbild des Lichtbringers, geschaffen in einer Zeit, als das Glück noch greifbar schien. Seine Augen, tief und verloren in Gedanken, ruhten auf der Figur, doch sein Geist wanderte weit, durchdrang die Schleier der Zeit zu Erinnerungen, die längst zu Staub zerfallen waren.
»Du sagtest, die Welt sei ein Spiegel unserer tiefsten Sehnsüchte und Träume, flüsterte Taoh mit leerem Blick, beinahe so, als würde er das zierliche Holzbild vor sich zum Gesprächspartner wählen. »Doch zuweilen enthüllt der Spiegel nicht das Ersehnte, sondern die nackte Wahrheit. Erbarmungslos und kalt.«
Vorsichtig legte er die Figur nieder und zog die Beine an sich, als suche er Schutz in seiner eigenen Umarmung. »Du wolltest dein Vertrauen in die Menschlichkeit zu setzen … die Überzeugung, dass ein Funke Hoffnung ausreicht, um die umhüllende Dunkelheit zu vertreiben. Doch schlussendlich … wurdest du selbst von ebenjener Dunkelheit verschlungen, Aba.«
Erhobenen Blickes fixierte Taoh nun weinend die endlose Weite Narakas unter ihm, wo unzählige Biolumineszenzen wie funkelnde Sterne in der ewigen Nacht glimmten. Es war, als suchte er in ihrem zarten Schimmern eine Bestätigung seiner schweren Einsicht.
»Aba, wie sehr ich dich auch vermisse, dein Kampf, deine Träume … sie haben uns einen Preis abverlangt, den ich nicht gewillt bin, noch einmal zu entrichten. Ich kann dein Erbe nicht tragen. Ich werde meinen eigenen Pfad finden, um in dieser Welt zu bestehen, ohne sie herauszufordern. Es tut mir leid!«
Besiegt und beschämt blickte er auf den Boden.
Plötzlich, in einem Moment tiefster Kontemplation, begann die Höhle zu flüstern. Ein unglaublich tiefer, leiser, aber deutlicher melodischer Pfeifton, als würde die Erde selbst singen. Es war ein Klang, so rein und tief, dass er zugleich beängstigend und faszinierend war. Die Schwingungen hallten von den Wänden wider, füllten die Luft mit einer Präsenz, die fast spürbar war. Taohs Herz schlug schneller, überrascht von diesem unerwarteten Zeichen der Höhle selbst.
»Faszinierend, nicht wahr?«, erklang plötzlich eine unbekannte Stimme unvermittelt neben ihm.