Taoh stand erstarrt in der Dunkelheit da, hielt den Atem an. Die Angst, sich zu übergeben und dadurch das Wesen in Bewegung zu versetzen, lähmte jede Handlungsoption. Die grauenvolle Misskreation vor ihm fixierte ihn unverwandt, die Augen fast so dunkel wie die Tunnel um sie herum.

Die erdrückende Stille wurde lediglich unterbrochen vom Aufklatschen eines organischen Breis, welchen das Wesen während seiner immer fortwährenden Transformation verlor.

Taoh spürte, wie sein Verstand an den Rand des Wahnsinns getrieben wurde. Die Schrecken der letzten Stunden, die unermessliche Dunkelheit, und jetzt dieses Wesen, das die Grenzen des Vorstellbaren sprengte.

Als Taoh in die unergründlichen Augen des Wesens starrte, sah er mehr als nur das Monster. Blitzartig durchzuckte ihn die Erinnerung an seinen Vater, gefangen im Todeskampf, seine Worte hallten in Taohs Kopf wider. Der Schmerz dieser Erinnerung brach wie eine Welle über ihn herein, ließ ihn beinahe vergessen, zu atmen, gefangen in der Furcht, das gleiche grausame Schicksal könnte ihm bevorstehen.

Sein Hals zog sich bereits zusammen, kämpfte mit aller Kraft sowohl gegen das Bedürfnis zu atmen, als auch gegen den unvorstellbaren Drang, sich zu übergeben, um diesen penetrierenden Gestank aus seinem Körper zu verbannen, der sich über seine Atemwege Zutritt zu seinem Inneren verschafft hatte.

Doch bevor er auch nur den Hauch einer Entscheidung treffen konnte, waren näherkommende Schritte hörbar. Sein Herz setzte einen Schlag aus, als er erkannte, dass seine Verfolger, von denen er lange geflohen war, unwissend direkt in ihr Verderben liefen – selbst zu Gejagten werden würden. Doch in seinem Geist war absolut kein Platz für Genugtuung oder Empathie. Es gab nur eines, was für ihn zählte: Keine Aufmerksamkeit zu erregen.

Die Gestalten seiner Verfolger kamen hastig um die Ecke gebogen, ihre Lampen schwangen wild hin und her und beleuchteten die grausige Szene. Die Gruppe stoppte abrupt beim Anblick des Ungetüms. 

Ungläubiges Entsetzen zeichnete sich in ihren Gesichtern ab. Einer übergab sich tatsächlich bei dem Gestank, den die Höhle absonderte. Ein wieder anderer, zog vorsichtig und mit bedacht einen großen Pilz-Hut aus seinem Mantel, setzte ihn auf den Kopf und ging betend auf die Knie. Andere zogen zitternd ihre Waffen, während viele in Schock zurückwichen, doch keiner war wirklich auf das vorbereitet, was folgte.

Mit einem grollenden, erdbebenartigen Brüllen, das den Boden unter ihren Füßen vibrieren ließ, erwachte es zum Leben. Es bewegte sich mit einer erschreckenden Agilität, die seinen grotesken Formen widersprach. Jedoch nicht mit Händen und Füßen – vielmehr durch eine Verlagerung seiner Biomasse entlang der Lederhaut artigen Wände – von einem Ort zu einem Anderen.

Mehrere gewaltige Hände bildeten sich und ergriffen den nächstgelegenen Verfolger und schleuderten ihn mit solcher Kraft gegen die felsige Wand, dass ein hohles, knackendes Geräusch erklang, gefolgt von einem lauten Platzen. 

Im nächsten Moment war dort, wo eben noch ein Mensch war, nichts als eine klebrige rote Masse. Samt Innereien an den Wänden klebend, das Fleisch grotesk verformt und teilweise mit der Wand verschmolzen, die sogleich pulsierend zum Leben erwachte und mit den Körperresten verschmolz. Einer der Arme klebte bereits am Leib der Misskreation. 

» MENSCHENFRESSER! EIN GHUUUL!«, schrie einer der Verfolger in Unglauben auf. Doch aß dieses Wesen nicht mit seinem Mund. Viel mehr wurde der Brei, der einst menschliche Körper geformt hatte, von dem Ghoul absorbiert. Und ebenso schnell wie es absorbierte, schien dieses unwahrscheinlich große Wesen zu wachsen.

Der nächste Mann schrie verzweifelt, als ein Stachel bewehrter Tentakel sich mit eiserner Präzision um seinen Hals legte und sich langsam, grausam in seine Haut bohrte. Dunkle, zähflüssige Substanz quoll aus dem Tentakel und breitete sich unter seiner Haut aus, verband sich mit seinem Fleisch. Unter schrecklichen Schmerzensschreien blähte seine Haut sich auf, platzte an manchen Stellen, während sein Körper grotesk verzerrte Formen annahm und in die biomasseartige Struktur des Mutanten überging, angefangen bei der Haut. Die betroffenen Stellen verwesten vor seinen Augen innerhalb von Sekunden, bis schließlich taubes, gräuliches, totes Fleisch zurückblieb und sogleich, wie durch das Pumpen eines riesigen Herzens, allmählich in den Mutanten aufgenommen wurde.

Das panische Entsetzen, weinen und flehen der anderen war greifbar, als sie sahen, wie ihr Kamerad zu einer Erweiterung des Monstrums wurde. Bei vollem Bewusstsein schmerzvoll Schicht um Schicht im Kollektiv des Mutanten aufgingen.

Mit jedem Schrei der Verfolger, der in den unerbittlichen Wänden des Tunnels widerhallte, sah Taoh das verzerrte Gesicht seines Vaters vor sich. Er konnte nicht anders, als sich vorzustellen, wie sein Vater in seinen letzten Momenten gekämpft hatte, verzweifelt und allein, gefangen in den gleichen schrecklichen Qualen. Dieses Wissen fraß sich tief in seine Seele, ließ ihn beinahe zusammenbrechen unter der Last des unvorstellbaren Leids.

»AH! NEIN! HELFT MIR! BITTE! AMA-«

In aller Hilflosigkeit wandte er sich weinend an seine Kameraden: 

»TÖTET MICH! TÖTET MICH! ICH FLEHE EU-", schrie einer, mit allem, was seine Lungen zu geben fähig waren, und riss Taoh aus seinen finstersten Gedanken zurück in die noch finstere Gegenwart. Bei diesem Anblick drehte sich Taoh vollends der Magen um, während tiefste Trauer über das Zeugnis der Wirklichkeit ihn überkam, wie er sie noch nie gesehen hatte. So etwas hatte niemand verdient. Absolut niemand! 

Die Verfolger waren wie gebannt, unfähig zu fliehen oder zu kämpfen – oder aber angsterfüllt, sie würden die nächsten sein, die die Aufmerksamkeit des Wesens auf sich zogen.

Eine Frau versuchte zu fliehen, doch ein weiterer Tentakel fing sie ein, hob sie hoch und injizierte die dunkle Substanz tief in ihr Fleisch. Ihr Schrei, durchdringend und verzweifelt, hallte im Tunnel wider, während ihr Körper sich vor Schmerz krümmte. Die Transformation verzerrte ihre Züge zu einem Albtraum aus Fleisch, ihre Haut öffnete sich in klaffenden, blutenden Wunden, aus denen neue, schreckliche Formen wuchsen, die sich langsam mit dem Leib des Ghouls verbanden.

»Nicht bewegen!«, flüsterte einer der Verfolger seinen Begleitern zu. »Ich glaube, es reagiert auf Bewegung. Ihr dürft euch nicht bewegen!«

Gebannt stand die Gruppe da. Die Stillte nur gebrochen vom verzweifelten Schmerzensschreien ihrer Kameraden, die um nichts als Erlösung flehten. Der Prozess war langwierig und abscheulich. Unmöglich zu bezeugen, ohne dass die eigene Seele enormen Schaden durch die Bilder und Geräusche vernehmen würde. Doch sie blieben stehen. Den Atem anhaltend. Abwartend. Betend.

Taoh tat es Ihnen gleich. Er hatte ohnehin nichts anderes getan. Noch immer in der gleichen Position eingefroren, in der alles begonnen hatte. Der Schlag seines Herzens in den Ohren war wie eine Trommel zu der furchtbaren Kakophonie des Schmerzes und Leides, das die Höhlen füllte, lediglich unterbrochen vom Klang quälender Schreie und brechender Knochen, die gewaltvoll in den Organismus des Ghouls gepumpt wurden.

Der Ghoul selbst blieb bewegungslos, verschwand langsam wieder in der Tarnung aus Blutflecken und ledrigen grauen Höhlenwänden. Oder... war die Höhle selbst der Ghoul? Befanden sie sich bereits im Ghoul?

Bei diesem Gedanken schüttelte es Taoh derart, dass er das Gleichgewicht verlor. Kurz bevor er auf den Boden aufschlug, bemerkte ihn einer der Verfolger und schrie in panischer Rage auf:

»DA IST Eeer-«

Und mit einem sausendem Geräusch hämmerte der Ghoul mit seiner exorbitant großen Faust auf ihn herab, ließ ihn für immer verstummen, während Taoh zeitgleich gegen die warme, viel zu weiche Wand fiel.

Glück gehabt – dachte sich Taoh – selbst gänzlich perplex über den Gedanken, bis er bemerkte, dass er damit nicht sich selbst meinte, sondern die soeben vernichtete Existenz! Glück, dass es schnell ging. Glück das nicht eine weitere Stimme in dem qualvollen Gemenge Einklang fand.

Der Rest der Verfolger blieb stoisch stehen. Zitternd, still, weinend und doch bewegungslos.

In den Schatten des Tunnels, zwischen den Klängen der Schreie, kämpfte Taoh mit sich selbst. 'Nicht bewegen', sagte er sich, doch jeder Instinkt schrie, zu rennen. Seine Gedanken waren ein Wirrwarr aus Angst, Trauer und dem verzweifelten Wunsch, das alles wäre nur ein böser Traum.

Der Ghoul blieb erneut still. Fixiert, die dutzenden Augen jeweils auf ein anderes Ziel gerichtet. Keiner bewegte sich. Seine Tentakel schwangen in der Luft wie Äste im Sturm. Ohne Vorwarnung griff die wandelnde Mutation erneut an. Taoh schloss weinend die Augen. Er konnte kein weiteres dieser Bilder ertragen. Einer nach dem anderen wurden sie von den grausam tanzenden Tentakeln erfasst.

Die Schreie der Übrigen erfüllten den Tunnel, während ein junger Kämpfer einen verzweifelten Schlag mit dem Schwerte versuchte und einen Arm abtrennte, nur um von einem der neu erschienenen, krallenbewehrten Gliedmaßen des Ghouls erfasst zu werden. Mit einem plötzlichen Ruck, der an das grausame Reißen eines Hungers leidenden Raubtiers erinnerte, ergriff der Ghoul den verdammten. Mit einem Schlag, der das Geräusch zerreißenden Stoffes in die bedrückende Stille mischte, wurde der Mann entzweigerissen. Seine Körperteile landeten mit einem feuchten Aufschlag auf dem Höhlenboden, während sein Schrei abrupt verstummte.

Sogleich ließen die letzten Überlebenden die Waffen fallen:

»Flieht!«, kam es aus allen Mündern, die nicht bereits vor Schmerzen brüllten.

Bei diesen Rufen öffnete Taoh seine Augen. War dies auch sein Moment zu fliehen? Vielleicht der Einzige? Jetzt, da es abgelenkt war? Da bemerkte Taoh, was allen anderen Entging. Die abgeschlagenen und abgefallenen breiartigen Massen auf dem Boden bewegten sich von selbst auf die vielen Leichenteile und Innereien zu. Formten ebenfalls selbst kleine Hände, Arme, Beine. Formten vereinzelt kleine Abkömmlinge ihres monströsen Elternteils.

Plötzlich, aus dem Nichts, glimmten zwei Augenpaare hinter der Gruppe auf. Ein Stoß von Hoffnung überkam Taoh. Sei es ein Kymist, Tokat, einer der Zu-Kur – es war ihm vollkommen egal. Jemand musste die Situation endlich unter Kontrolle bringen. Die leuchtend orangefarbenen Augen zuckten schnell durch die Dunkelheit, als würde ihr Besitzer mit höchstgeschwindigkeit durch die Dunkelheit sprinten. Schnell offenbarte sich eine glimmende Kugel aus waberndem Wasser, schwebend vor ihm – seine Händer schützen darum gelegt. Mit einem kraftvollen Wirbel löste er den Zauber. Innerhalb von Bruchteilen einer Sekunden spitzte sich die Wassermaße zu und ZACK! - köpfte das Monster mit der flüssigen Klinge. 

Ein erleichtertes kollektives Aufatmen, ein Hoffnungsschimmer, überkam die Überlebenden. Doch schnell erstickt, als vor ihren Augen ein neuer Kopf aus dem stürzenden Blut herauswuchs und gleich einer Schlange auf den Kymisten zuraste, bis dieser gegen die Wand gerammt wurde.

Für einen Moment war es, als könne der Mann kaum glauben, dass er die Attacke überlebt hatte, nur um im nächsten Moment eine pulsierende schleimige Masse an seinem Torso zu finden, über seinem pumpenden Herzen. Panisch wischte er die Abscheulichkeit von sich, doch es war bereits zu spät. Sein Herz war bereits durchbohrt und dunkles Sekret färbte seine Adern, während sein starkes Herz alles gleichmäßig in seinem Körper verteilte. 

Während er keuchend um Atem rang, begann seine Haut sich aufzulösen, seine Knochen und Muskeln schienen sich in die schleimige Substanz des Mutanten zu verwandeln. Langsam und mit bedacht näherte sich schließlich wieder die Hand des Mutanten und ließ den Mann in seiner Faust verschwinden. Sein letzter Schrei erstarb, als sein Körper vollständig in der Hand verschwand.

Die restlichen Kämpfer, getrieben von nackter Panik, versuchten zu fliehen, wurden jedoch von der unglaublichen Geschwindigkeit des Ghouls eingeholt. Ihre Schreie verstummten schnell, als sie einer nach dem anderen in die fleischgewordene Hölle gezogen wurden. Auch ihre Körper lösten sich auf, während sie lebendig in die Masse des Mutanten integriert wurden, ihre Schreie und das Knacken ihrer Knochen bildeten eine makabre Klangkulisse des Grauens.

Inmitten des Chaos und der Zerstörung versuchte ein letzter Verfolger, ein junger Mann, der offensichtlich von der Furcht übermannt war, verzweifelt, sich zu verstecken. Doch es gab kein Entkommen vor den scharfen Sinnen des Ghouls. Mit einer Bewegung, die fast spielerisch wirkte, stieß der Mutant einen weiteren Tentakel durch die Dunkelheit, welcher den jungen Mann durchbohrte und ihn gegen die kalte, nasse Wand pinnte. Der Schrei des Mannes verhallte langsam, als das Leben aus ihm wich.

Gemächlich zog der Organismus sich in ein winziges Loch zurück, gerade so groß genug für Taoh zum Durchkriechen. Wie an lebendigen Seilen zog er seine jammernden Opfer in sein Reich des Schreckens. Einer nach dem anderen wurden sie unter furchtbaren Knacken ihrer zu großen Körper durch das enge Loch gezogen und verstummten darauf für immer. 

Die Luft im Tunnel war schwer vom Geruch des Blutes und des Todes, durchdrungen von einem überwältigenden Gestank. Taoh, unfähig sich zu bewegen, gefangen in einem Albtraum aus Angst und Entsetzen, spürte, wie sein Verstand sich gegen die Realität wehrte. Die Geräusche des Kampfes, das Schluchzen der Sterbenden und das zufriedene Gurgeln des Ghouls, während er seine Opfer in sich aufnahm, der faule, chemikalische Geruch, brannten sich unauslöschlich in sein Gedächtnis ein. Die schreckliche Gewissheit, dass sein Schicksal das Gleiche sein würde, sollte er sich bewegen, ließ ihn erstarren vor Furcht.

Und wie befürchtet, begann sich vor ihm erneut etwas im Dunkeln zu regen...