Zelia wusste: Jeder Einzelne war ihr überlegen. Nicht nur zahlenmäßig. Mindestens drei Kymisten – darunter der legendäre Tokat. Zusätzlich die Wellenschmiede. Sollte sie Tokat angreifen? Den Wellenschmied? Nein. Ihr Ziel war der Urquell dieses Desasters: Laveau. Sie musste die Illusion aufheben, die über sie alle geworfen war. Zelia öffnete leicht eines ihrer Augen und spähte durch die spärliche Lücke. Dort stand Tokat, massiv, eine drohende Figur, direkt zwischen ihr und Laveau. Die Schritte anderer hallten näher, ihre Präsenz verstärkte die Dringlichkeit ihres Handelns. Es musste sein! Sofort!

Sie atmete tief ein, sammelte sich für das, was kommen musste. Es gab nur ein mögliches Ziel. Plötzlich packte etwas sie am Mantel und zerrte sie hoch. Mit einem Mal durch pumpte ihr Herz all das aufgeschobene Adrenalin. Die Zeit dehnte sich, alles passierte wie in Zeitlupe. Sie nutzte ihre Bewegungsenergie, den Obsidian fest im Griff. Sie öffnete beide Augen, zielte und warf. Der Obsidian schnitt durch die Luft. Klirr.

Ein elektrisierendes Brummen durchdrang den Raum, gefolgt von einem knirschenden Geräusch, als ob Glas zerbrach. »Was zum ...!?«, rief einer der Anwesenden, bevor ein ohrenbetäubender Knall ertönte. Ein blendender Lichtblitz erfüllte den Raum, und eine der kymatischen Apparaturen begann Funken zu sprühen. Der energieliefernde Kristall war zerstört!

»RUNTER!«, brüllte Tokat, als das Energiegleichgewicht im Raum dramatisch gestört wurde. Der Geruch von Ozon breitete sich explosionsartig aus. Ein lauter Knall. Schreie. Zelia sprang auf. Die Sicht getrübt von Blut und rollte vorwärts, um sich Raum zu verschaffen. Direkt vor ihr lag ihr Ziel.

Mit einer geschmeidigen Bewegung warf sie erneut. Der Obsidian glitt aus ihrer Hand und durchschnitt die Luft mit tödlicher Präzision. Knack. Zelia erblickte die Frau vor sich: Langes schwarzes Haar unter einem weißen Turban, das Gesicht verzogen vor Schmerz. Blut floss die Stirn hinab, dort, wo der Obsidian in der Mitte der Stirn steckte. Weitere knackende Geräusche erfüllten den Raum. Dunkelblaue Blitze zuckten von der Stirn, synchron mit den verbleibenden Kristallen. Laveau fiel zu Boden.

Tokats Augen loderten in einem feurigen Zorn, während er durch den dichten Nebel starrte. Der Wellenschmied hastete zu den Apparaturen, verzweifelt bemüht, das kollabierende System zu stabilisieren. In jenen Sekundenbruchteilen durchlief sie alle möglichen Optionen. Jede Entscheidung war kritisch, das Schicksal unvorhersehbar. Wachen stürmten auf sie zu.

Mit fieberhafter Präzision kalkulierte sie Chancen und Risiken, während die qualvollen Schreie der Verwundeten den Raum erfüllten. Dies war ihre Gelegenheit, weiter vorzudringen. Sie griff nach einer weiteren Nadel, von denen nur noch zwei übrig waren – eine für jeden ihrer nächsten Gegner. Besonders das Blockieren von Tokats Wurzelchakra war eine immense Herausforderung.

Rote Lichter flitzten durch den dichten Nebel, der den Raum durchzog. Blutrote, pulsierende Adern durchzogen Tokats Gesicht, das im dämonischen Schein seiner Augen fast schmerzerfüllt wirkte, von Blutdurst verzerrt. Zelia machte eine rasche Rolle zur Seite, um einer der Wachen auszuweichen. Im Fallen zog sie deren Beine weg und stieß die Nadel direkt in die Halsschlagader des Gegners. Ein gurgelndes Stöhnen folgte. Blut spritzte hoch und traf ihr Gesicht. Doch ihr noch sehendes Auge blieb klar und fokussiert.

Tokat setzte sich mit einer unglaublichen Geschwindigkeit in Bewegung, und in diesem Moment schleuderte Zelia die Nadel. Sie flog zielgenau durch die Luft, doch Tokat war zu schnell. Die Nadel krachte in die Wand hinter ihm, während er bereits auf sie zustürmte.

Ein gewaltvoller Aufprall, gleich eines Geschosses, schleuderte sie zurück. In letzter Sekunde konnte sie die ungeheure Energie umleiten und Tokat flog an ihr vorbei. Bevor er aufstehen konnte, war Zelia bereits bei ihm. Bereit für den finalen Stoß. Tokat griff auf Knien nach dem spitzen Obsidian in ihrer Hand.

Bei der bloßen Kraft in seinen Händen fürchtete Zelia um die Robustheit ihres Ellenbogens. Der Angriff verfehlte sein Ziel knapp, streifte seinen Mantel. Tokat wiederum schlug erbarmungslos auf ihre Faust ein, sodass der Obsidian quer durch den Raum flog.

Bevor sie die letzte Nadel ergreifen konnte, schleuderte er sie mit einer wilden Bewegung über seinen Kopf. Sie prallte heftig mit dem Hinterkopf gegen die Wand. Ein knackendes Geräusch durchzog den Raum. Tokats Hände umschlossen ihren Hals.

Doch in einem letzten Versuch, sich zu befreien, tasteten Zelias Finger fieberhaft umher, fanden die letzte Nadel, die sie bei dem ersten Angriff verloren hatte. Mit der letzten Kraft, die ihr verblieb, stach sie blindlings nach oben. Die Nadel traf Tokats Hand, die ihren Hals umklammerte. Ein durchdringender Schrei entwich ihm, sein Griff lockerte sich augenblicklich. Nutzend, dass sein Schmerz ihn für einen Moment ablenkte, stieß sie ihn mit aller Kraft von sich, ihr Atem schwer, ihr Körper am Limit.

Blut tropfte von ihrer Stirn, ihre Sicht verschwamm, aber sie musste sich fokussieren. Die letzte Nadel in ihrer Hand, ihr Atem schwer, ihr Körper schrie vor Schmerz. Doch Aufgeben war keine Option. Tokat, sichtlich gezeichnet und wütend, sammelte sich für einen weiteren Angriff. Zelia hob die Nadel, ihr letztes Verteidigungsmittel, ihr letzter Atemzug einer Hoffnung, fest entschlossen, diesen Kampf zu überstehen.

Inmitten des Chaos, das den Raum erfüllte, keuchte Tokat aufgebracht.

»Ihr verdammten Amateure!«, schrie er außer sich vor Wut. »Sie beherrscht das Zen!? Wann habt ihr ... wie in aller Welt!?« -doch im nächsten Moment wurde sein Schrei von einem Stöhnen unterbrochen. Ein Körper fiel dumpf zu Boden. Erneut bildete sich Nebel, kommend vom Korridor, der zu den Treppen führte. Schnell breitete er sich durch den Raum und verdichtete sich.

Tokat warf hektische Blicke umher, seine Augen huschten rastlos durch die flimmernde Dunkelheit. Zelia nutzte den Moment und trat mit all ihrer verbliebenen Kraft zu. Doch Tokat zeigte keine Reaktion. Plötzlich zerriss ein greller Lichtblitz die Finsternis, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Knall, der durch Mark und Bein ging. Die Erde erzitterte unter ihnen.

Der Wellenschmied, in verzweifelter Entschlossenheit, hatte eine seiner zuckenden Apparaturen auf den Eingang gerichtet. Die Decke bröckelte, Steine lösten sich und alles um sie herum vibrierte in einem apokalyptischen Crescendo.

»Bist du des Wahnsinns!?«, schrie Tokat, als ihm die imminente Gefahr bewusst wurde.

»Dieser Nebel ist keine Illusion!«, rief der Wellenschmied zurück, seine Stimme bebend vor Anspannung. »Es muss der Zwerg sein! Er ist der einzige Nutzer des Sakralchakras!« Ein bedrohliches Knacken durchzog die Wände, als ob sie unter dem Gewicht einer uralten Last ächzten.

»Beabsichtigst du, uns alle umzubringen? RAUS HIER!« brüllte Tokat, seine Stimme überschlug sich vor Panik. Er packte Zelia erneut am Hals, zerrte sie quer durch den Raum, während Steine und Brocken der Wand um sie herum niederprasselten. Plötzlich wurde sie mit ungeheurer Kraft nach vorn gerissen. Tokat stürzte vorwärts, direkt auf die nebelhafte Figur zu. »Hab ich dich!«, rief er triumphierend.

Im nächsten Augenblick sah Zelia, wie seine Faust mit der Wucht eines Hammerschlags niederging und den Körper vor ihm gleich eines Geschosses gegen die Wand schleuderte. Der Aufprall war von einer rohen Gewalt, ein schreckliches Knirschen, das sich mit dem des einstürzenden Raums zu einer grausamen Symphonie der Zerstörung vermischte.

Zelias Finger, die eben noch die letzte Nadel umklammert hielten, rammte sie mit letzter Kraft in seinen Nacken. Ein markerschütternder Schrei entrang sich seiner Kehle, als der Griff seiner Hände nachließ und die lodernden Augen des Kymisten für einen Moment ihren höllischen Glanz verloren.

Mit einer geschickten Bewegung schlang Zelia ihre Beine um seinen Kopf, presste seinen Arm zwischen ihre Oberschenkel und zog ihn mit brutaler Entschlossenheit zu ihrem Gesicht. Ihr Becken stemmte sich mit aller Kraft dagegen, um den Arm zu brechen, während sie kopfüber hängend spürte, wie das pulsierende Leben in seinem Gesicht langsam erlosch.

Dennoch bewiesen seine Arme weiterhin eine erschreckende Stärke. Es blieb ihr keine andere Wahl. Hastig stieß sie einen ihrer Schuhe ab, verengte ihren Griff, um noch näher an ihn heranzurücken – doch im nächsten Augenblick warf Tokat sie mit gewaltiger Kraft von sich, entschlossen, sich ihrer Kontrolle zu entwinden.

Sie flog über den Boden. Tokats Augen loderten erneut auf, während die Decke immer noch bröckelte. Mit einem schnellen Griff zu ihrem Fuß überprüfte Zelia, ob sie tatsächlich den Obsidian zwischen ihren Zehen eingeklemmt hatte. Der Lichtbringer war auf ihrer Seite. Sie umschloss den Obsidian fest mit der rechten Hand und richtete sich erneut auf, mit einer Entschlossenheit und Stärke, als hätte der Kampf bislang nicht begonnen. Auge um Auge. Sie standen sich gegenüber, als plötzlich ein massives Stück der Decke zu Boden fiel. Viele weitere Teile folgten in schneller Folge.

Der Boden unter ihren Füßen bebte, als weitere Trümmer herabstürzten, ein stetiges Donnern von oben. Mit jedem Bruchstück, das fiel, wuchs das Risiko, unter den Trümmern begraben zu werden, doch Zelia ließ sich davon nicht einschüchtern. Sie fixierte Tokat mit einem unerschütterlichen Blick, bereit für den nächsten Zug in diesem tödlichen Spiel. Sie wussten beide, dass jeder Moment der Letzte sein könnte, und in diesem brüchigen Gleichgewicht des Verderbens standen sie, entschlossen, nicht als Erste zu fallen.

Tokat wandte seinen Blick nicht ab. Der Nebel zwischen ihnen verdichtete sich zunehmend. Er machte einen Schritt auf sie zu, doch plötzlich bemerkte Zelia hinter ihm ein Dutzend Augen aufblitzen.

»Vorsicht, oh Herr!«, rief der Wellenschmiede panisch aus, zielte, und im nächsten Moment durchzuckten erneut Blitze die Luft. Eine Explosion erschütterte den Raum, Tokat duckte sich.

Zelia wartete keine Sekunde. Sie rannte auf ihn zu, sprang, rutschte über den von Nebel umhüllten Boden, zielte und warf den Obsidian kurz, bevor sie unter ihm hindurchglitt. Mit der Präzision und Entschlossenheit einer verzweifelten Kämpferin nutzte sie diesen Moment der Ablenkung, um ihre letzte, tödliche Attacke zu starten.

Er schrie auf. Zelia sprang in einer fließenden Bewegung aus der Grätsche auf und hastete an ihm vorbei. Tokat drehte sich um. Nur noch ein rotes Licht schimmerte durch den Nebel. Das Dutzend Augen war verschwunden. Stattdessen offenbarte sich ein riesiges Loch, wo einst der Korridor war. Die Treppen waren gesprengt worden, zu hoch, um sie zu erklimmen. Eine Hand durchstieß den dichten Nebel über ihr. Sie ergriff sie instinktiv.

»HALT! WIR BRAUCHEN SIE LEBEND!«, hörte sie Tokat noch schreien, bevor eine erneute Explosion den Raum erschütterte. Trümmer fielen herab. Zelia wurde am Kopf getroffen. Ihre Ohren piepten, ihre Sicht verschwamm. Ihr einziges noch sehendes Auge schwoll an. Die Wände knackten und brachen. »LOS KLINGE! LAUF!«, schrie eine helle Stimme durch den Nebel.

Die Welt um sie herum zerfiel ohrenbetäubend. Zelia dachte nicht mehr nach. Sie handelte nur noch. Sie stand auf, benommen und taumelnd, stolperte die Treppen hinauf, spürte aber schon ihre Verfolger dicht hinter sich.

Ich halte sie auf! Lauf! »Rette dich und was dir heilig ist!«, rief die Stimme durch den Nebel.

Zelia hatte aufgehört, zu denken. Sie handelte instinktiv. Sie musste sofort nach Hause. Ihre Familie retten. Sie rannte weiter. Unten entbrannte ein weiterer Kampf. Geschrei. Krachendes Gestein. Doch jeglicher Obsidian war verbraucht. Sie hatte nichts mehr, was sie einsetzen konnte. Sie erreichte das obere Ende der Treppe. Die Wände bebten noch immer von unten. Doch hier oben, im Dämmerlicht der Lumiflora, wirkte der Tunnel vorerst stabil. Jedoch lagen Leichen auf dem Boden. Im Vorbeilaufen erkannte sie die typische, Pelz umhüllte Kleidung und einen der bekannten Pilzhüte: Waren dies etwa Zu-Kur? Wie tief reichte diese Verschwörung? Doch es blieb keine Zeit.

Plötzlich zischte ein Lichtblitz an ihr vorbei und zerschellte an den Wänden, seine Ladung sprühte Funken. Der Wellenschmied war ihr dicht auf den Fersen. Es war nicht mehr weit. Ein erneuter Blitz. Dieser Mann war absolut verrückt. War es ihm etwa egal, ob sie dabei alle umkamen?

Zelia rannte in Zickzacklinien, fast am Ziel. Sie erblickte den großen Pilz, den schwachen Lichtschein des Lochs an der Decke, das Geräusch von rauschendem Wasser. Ein weiterer Lichtstrahl blitzte auf, ein Zeichen der unermüdlichen Verfolgung des Wellenschmieds.

Zelia rutschte die letzten Meter über den Boden, während sie hastig nach Steinen griff, die auf dem kühlen Untergrund verstreut lagen. Mit einer schnellen, gezielten Bewegung warf sie einen gegen die Wand. Sie betete, dass sie getroffen hatte. Irgendwo dort musste Gidim-Zus – oder, wie sie alsdann wusste: Yagas – versteckter Hebel sein. Doch ihr wurde schmerzlich bewusst, dass sie niemals einfach hochklettern könnte.

Ein Klicken, ein Knacken und dann ein Schuss – plötzlich schoss ein Pfeil samt Seil in Richtung der Decke durch das Loch und rastete ein. In einer fließenden Bewegung wirbelte sie herum, ergriff das Seil und schleuderte sich mit einem Schwung nach oben. Ein erneuter Knall, dieses Mal heftiger. Die Wände zitterten erneut! Zelia zog sich empor und erhaschte dabei einen kurzen Blick auf ihren Verfolger.

Eine dürre Gestalt offenbarte sich ihr. Ein hageres Gesicht, eine Hakennase, bleich und schwächlich wirkend. Doch noch erschreckender war die Erkenntnis, dass die Kleidung ihn ebenfalls als einen Zu-Kur auswies.

»Du musst das nicht tun!«, schrie Zelia verzweifelt, in dem Versuch, Zeit zu gewinnen, während sie weiter emporkletterte. »Egal, was sie gegen dich in der Hand haben – wir stehen das gemeinsam durch! Als SCIONS! Ich weiß, was du über die Jahre alles für uns getan hast. Wir können sie besiegen! Gemeinsam!«

Doch der Wellenschmied, die dürre Gestalt in den schäbigen Gewändern eines Zu-Kur, werkelt im Laufen bereits an der kistenförmigen Apparatur herum, bereit, eine weitere Entladung herbeizuführen.

»Ich kenne den Weg nach Albedo! Nur ich kenne den Weg!«, schrie sie erneut, während sie sich mit letzter Kraft am Seil hochzog.

»Albedo ist über Kilometer verpestet mit Ghouls und schlimmeren!«, entgegnete er, drehend an kleinen Zahnrädern, vorbereitend für den finalen Schlag. »Wir werden es nie erreichen! Dies hier, ist eine wahre Chance auf das Löwenblut!«

»Es würde ich umbringen!«, schrie Zelia in einem letzten Akt der Verzweiflung. »Auch ich bin ohne Talent in der Kymatik geboren. Doch wir haben unsere eigenen Fähigkeiten, verstehst du nicht? Nicht jede Macht bedient sich derselben Quelle? Was wären wir ohne dich?«

Zelia hielt sich mit einer Hand am Seil fest, während sie die andere gegen die Felswand stemmte. Über ihr der schmale Spalt; unter ihr der Wellenschmied, der gerade dabei war, seine Apparatur für den finalen Schuss vorzubereiten.

»Warum tust du das?«, rief sie. Ihre Stimme hallte in dem dunklen Tunnel wider. »Denkst du wirklich, dass das Löwenblut dir das geben wird, was du suchst? Macht? Anerkennung?«

Der Wellenschmied hielt inne, sein Blick traf den ihren. Für einen Moment lag eine schwere Stille zwischen ihnen, gebrochen nur durch das ferne Rauschen von Wasser.

»Was weißt du schon von Suche und Verlust?«, entgegnete er bitter. »Wir sind alle Gefangene unserer Umstände, geformt durch das, was wir ertragen müssen. Ich habe hinreichend ertragen. Ihr habt genug auf mich herabgesehen. Ich werde all das transzendieren. Mein Wissen um die Mathematik ist unangefochten. Wenn ich nur noch Anwender wäre – ich wäre nicht lediglich der Anführer der Scions, ich wäre der Herr von Naraka. Der Schwachsinn mit der Elite hätte sofort ein Ende. Ich kann dich nicht gehen lassen. Du bist meine einzige Chance – die einzige Chance auf Frieden in unserer dunklen Welt!«

Zelia atmete schwer, spürte das Gewicht ihrer eigenen Entscheidungen. 

»Wir müssen nicht das sein, was die Welt von uns verlangt. Die Sibbitti dulden niemanden neben sich. Du wirst sie nicht übertreffen. Du wirst aus der Geschichte getilgt, sobald du ihnen auch nur nahekommst!«

Er lachte leise, ein kaltes, müdes Lachen.

»Ideale sind luxuriös, wenn dein Rücken gegen die Wand steht«

»Nicht jeder von uns kann es sich leisten, edel zu sein, Zelia. Manchmal ist das Überleben alles, was zählt. Unsere Stadt muss überleben. Was folgt, benötigt einen fähigen Krieger. Jemand, der die Kymatik bis in die tiefsten Tiefen durchdrungen hat!«

»Aber um welchen Preis?«, drängte sie. »Wenn wir unsere Menschlichkeit opfern, was bleibt dann noch von uns? Ist ein Überleben um jeden Preis wirklich ein Sieg? Einen kleinen Jungen opfern?«

Der Wellenschmied blickte kurz nach unten. Sein Gesicht war von Zweifeln gezeichnet. 

»Ich würde tausende Jungen opfern für den Fortbestand der Menschheit« Sein Finger zögerte am Abzug. »Du hättest es eines Tages verstanden, dass es keine einfachen Antworten gibt. Lediglich dein Unwissen lässt dir den Luxus der Moral!«

»Vielleicht«, sagte Zelia leise, »aber ich muss glauben, dass es einen anderen Weg gibt. Für uns alle.«

Mit diesen Worten zog sie sich weiter hoch, entschlossen, das zu schützen, was ihr am Herzen lag, unabhängig von den Entscheidungen, die andere trafen. Der Wellenschmied schaute ihr nach, zögerte einen Moment, bevor er seine Apparatur wieder anhob, das Gewicht seiner Wahl sichtbar in seinen zitternden Händen.

Die Kristalle in seiner Hand funkelten gefährlich, während er eine breitbeinige Position einnahm. Ein Vakuum entstand für eine Sekunde, eine gefährliche Stille, die nur die Verrücktheit seiner Absicht bestätigte. Er war wahnsinnig, überlud den Kristall bis zum Äußersten. Zelia war fast da, sie konnte das Rauschen des Wassers schon über sich hören. Doch es war zu spät.

Aus der Ferne hörte sie noch das Gebrüll: »NICHT!DA OBEN SIND«, doch bereits im nächsten Moment überschlugen sich die Ereignisse. Zuerst rote Energiestrahlen. Ein Aufschrei. Dann durchzuckte ein letzter Lichtstrahl den Tunnel. Es knallte. Dann wurde es dumpf, still. Sie wurde durch die Luft geschleudert. Splitter bohrten sich durch ihr Fleisch. Orientierungslos griff sie nach einem Halt und bekam etwas zu fassen. Mit letzter Kraft zog sie sich hoch. Im nächsten Moment überkam sie ein starker Würgereiz; sie spuckte Blut. Benebelt blickte sie sich um. Sie befand sich auf einer bebenden Brücke. Risse bildeten sich auf der Oberfläche und schlängelten sich reißend auf sie zu. Sie setzte nach hinten ab. Es zählte nur noch eines: nach Hause!

Sie rannte, hinter ihr ein tosendes Beben, und plötzlich riss der Boden auf. Ein nahegelegener Titan-Pilz neigte sich kurz darauf gefährlich. 

Blindlings rannte sie weiter um ihr Leben, kaum den Weg vor ihren Füßen erkennend. Der Boden krachte, und hinter ihr schlug etwas Ungeheures schwer auf. Doch sie musste weiter. Sie erblickte ihr Heim. Es stand... noch. Sie rannte weiter darauf zu. Mit letzter Kraft taumelte sie die Treppen hinauf und krachte durch die Tür, blutüberströmt.

Dann wendete sie sich Taoh zu, die Augen lodernd vor Angst und Zorn: 

»DER OBSIDIAN! WO IST ER!?«