Mit zitternder Anstrengung aktivierte Kamura seine Augen, die sich schmerzhaft gegen das gleißende, überwältigende Licht stemmten. Für den Bruchteil eines Augenblicks erhaschte er eine Vision, ein flüchtiges Bild, das so schnell verschwand, wie es erschienen war.
Doch die Fülle an Informationen, die in solch kurzer Zeit an sein Bewusstsein drangen, überwältigte ihn vollends. Es fühlte sich an, als würde sein Gehirn Feuer fangen – eine Explosion von Eindrücken und Bildern, die in rasender Geschwindigkeit durch seine Gedanken jagten.
Sein Kopf pochte unter der Last der Visionen, jeder Gedanke ein Funke in einem lodernden Inferno des Wissens. Die Intensität der Erkenntnisse, die er in diesen Sekunden erlangte, war so gewaltig, dass sie seine Realität selbst zu überfordern drohte. Er rang nach Luft, als er versuchte, sich in der Flut der Informationen zu orientieren, die wie ein unaufhörlicher Strom durch sein Bewusstsein schossen.
Gerade als er am Rande des Erträglichen balancierte, durchzuckte ihn ein flüchtiger Moment der Klarheit:
Dass jene Magie, die Yaga umhüllte, aus einer gänzlich anderen Quelle schöpfte. Die Visionen in ihrer Kugel waren ausschließlich für sie bestimmt – ein Mysterium von solcher Tiefe und Verwobenheit, dass es seinen Verstand und seine Kräfte bei Weitem überstieg. Sollte er dieser Erkenntnis nicht Folge leisten, würde er vermutlich in wenigen Augenblicken den Verstand verlieren.
Der Raum pulsierte mit einer Energie, die sich mit jedem Herzschlag intensivierte. Als würde sich die Luft immerzu komprimieren, bis schließlich jeder Atemzug so mühsam wurde, als kämpfe man gegen die Gewalt eines Orkans.
Ein unheilvolles Rauschen erfüllte den Raum, als würden tausende verzweifelte Schreie aus der Ferne, das Summen der Kristallkugel durchdringen, synchron mit dem rhythmischen Aufblitzen der indigofarbenen Lichtimpulse, die von der Kugel und Yagas intensivem Blick ausstrahlten. Jeder Lichtblitz erweckte den Eindruck, einer alten, vergessenen Sprache zu entspringen; ein Widerhall einer Welt, die sowohl fern, als auch erschreckend nah war in diesem Moment.
Taoh hielt sich fest, eine Hand an Kamura, die andere am Tisch, verzweifelt darum bemüht, nicht durch die Gewalt der Energie von seinem Sitz gefegt zu werden. Seine Augen, weit aufgerissen und dennoch unfähig, zu erkennen, spiegelten die flackernden Lichter und die dunkle Vorahnung dessen wider, was noch kommen mochte.
Plötzlich stieg die Intensität der Kymatik zu einem schwindelerregenden Höhepunkt. Die Atmosphäre verdichtete sich zu einer fast festen Masse, die die Brust einschnürte und den Atem raubte.
Ein letzter, explosionsartiger Impuls durchzuckte den Raum. Die Verbindung brach abrupt ab, und lose Blätter wirbelten aus den Seiten der antiken Folianten, tanzten in der plötzlich wiederkehrenden Stille des Raumes, während die Anwesenden keuchend nach Luft schnappten.
Und dann, als sich der Staub legte und die Welt um sie herum wieder zur Ruhe kam, enthüllte sich den Brüdern ein noch viel erschütternderer Anblick:
Yaga, die sonst so souveräne Meisterin ihrer Zunft, saß fassungslos da, unfähig zu sprechen, unfähig sich zu bewegen, als versuchte sie, das Unfassbare, das sie gerade gesehen hatte, zu verarbeiten.
Kamura und Taoh tauschten verstohlene Blicke, Unsicherheit und Sorge spiegelten sich in ihren Augen wider. Was hatte Yaga in den Tiefen der Kristallkugel erblickt? Welche Vision hatte eine so mächtige Kymistin derart aus der Fassung gebracht?
Schließlich sammelte Yaga ihre Kräfte, obgleich ihr Atem noch immer das unregelmäßige Lied einer Seele im Sturm sang. Langsam, mit einer Bewegung, die die Last unzähliger Jahre trug, hob sie ihren Blick zu den Brüdern.
Auf ihrem Gesicht, nun gezeichnet von einem Kampf, so alt wie die Zeit selbst, offenbarte sich eine Tiefe, die weit über das hinausging, was bloße Worte zu fassen vermochten. Es war, als hätte sie in jenen Momenten, eingetaucht in die Vision, Jahrzehnte durchlebt, und jedes dieser Jahre hatte seine Spuren in den Linien ihres Gesichts hinterlassen.
Ein Ringen zwischen Mitgefühl und Weitsicht, zwischen der Verpflichtung des Wissenden und der Bürde, die dieses Wissen mit sich bringt, entfaltete sich in den Tiefen ihrer Augen. Ihr Blick, der zwischen Kamura und Taoh hin und her schweifte, schien jedes Geheimnis, jeden Schmerz und jede Hoffnung zu durchdringen und abzuwägen, die in ihren Herzen verborgen lagen.
Mehrmals öffnete sie den Mund, als wollte sie das drückende Schweigen brechen, doch es war, als hätte die Stimme der Wahrheit selbst sich vor der Last dessen, was sie zu offenbaren hatte, zurückgezogen.
Kamura spürte, wie die kalte Angst sich langsam seinen Rücken hinunterzog, eine Gänsehaut, die in der bedrückenden Stille gedieh. Neben ihm atmete Taoh schwer, seine Brust hob und senkte sich ungleichmäßig, als würde jeder Atemzug ihm eine Herkulesaufgabe abverlangen.
Yagas Augen fixierten nun nicht mehr nur das Vage und Unsichtbare; sie schienen sich auf etwas zu konzentrieren, das weit über die physischen Grenzen des Raumes hinausging. Ihre Lippen bewegten sich leise, formten Worte, die zu flüstern schienen, ohne dass ein Laut sie verriet. Es war, als flehte sie stumm um Verständnis für eine Last, die kein anderer tragen konnte.
Schließlich wagte Kamura, die Stille zu durchbrechen. »Yaga?«, seine Stimme war mehr ein Hauch als ein Wort, doch es schlug wie ein Donner in die Stille. Yaga zuckte zusammen, als wäre sie aus einem tiefen Traum gerissen worden. Ihr Blick glitt träge zu ihm, gefüllt mit einer unergründlichen Traurigkeit.
»Was habt ihr gesehen?«, fragte Taoh, seine Stimme indessen fester, getragen von der Notwendigkeit zu verstehen, was solche Furcht in ihrer Meisterin wecken konnte.
In diesem Schweigen, das sich wie ein dichter Schleier über die Brüder legte, spürten sie förmlich die Unfassbarkeit dessen, was Yaga erblickt haben musste.
Ihr Kampf, sichtbar in jedem Zug ihres plötzlich uralten Gesichts, war nicht allein ihr eigener – es war der ewige Kampf zwischen Licht und Dunkelheit, zwischen Wissen und Schutz, der in den Herzen aller Wesen abspielte.
»Ihr müsst gehen!«, durchbrach sie die erdrückende Stille. »Und zwar schnell!«, fügte sie mit einem mahnenden Unterton hinzu. In ihrem Blick wechselten sich Sorge und Entschlossenheit ab, während sie die beiden Männer musterte.
Die Brüder betrachteten sie misstrauisch und suchten in den Blicken des anderen nach Antworten.
»Was hast du gesehen?«, fragte Kamura, die Stimme bebend vor Angst. Sein Herz schlug heftig gegen die Brustwand, als würde es jeden Moment zerspringen, und in seinen Augen spiegelte sich die nackte Furcht vor dem Unbekannten, das sie nun erwartete.
»Ihr habt keine Zeit für solcherlei Fragen«, entgegnete Yaga, ihre Stimme durchdrungen von der Schwere unzähliger, ungelöster Rätsel.
»Verschwendet nicht eure Zeit in nutzlosen Überlegungen. Ich kann nur betonen, dass eure Abreise von größter Bedeutung ist! Ohne Verzögerung und Zögern. Der Katalysator der Kausalität, die unaufhaltsame Kraft, die das Rad des Schicksals in Bewegung setzt, ist bereits über uns gekommen. Sie ist unaufhaltsam. Doch wenn ihr meine Warnung missachtet, wird euch der Kummer der Reue jeden Schritt niederdrücken. Zwangsläufig werdet ihr verstehen, warum ich schweige.«
Yagas Worte hallten in der stummen Kammer wider, eine finstere Prophezeiung, die sich wie Nebel um ihre Gestalten legte. Ihre Augen trugen die Last einer schrecklichen Erkenntnis, eine Zerrissenheit, die sie trotz ihrer gewohnten Kontrolle nicht verbergen konnte. Es war, als blickte man in einen Abgrund, dessen Tiefe das menschliche Verständnis übersteigt, ein Abgrund, der zurückstarrte und drohte, sie alle zu verschlingen.
Ein eisiger Schauer kroch Taoh die Wirbelsäule empor, begleitet von einem unbehaglichen Zittern, das jene heimsucht, deren Seelen die düsteren Schatten einer schicksalhaften Fügung erahnen.
Mit jeder Sekunde, die verstrich, während sie in Yagas durchdringenden Blick gefangen waren, wuchs das Gefühl der Dringlichkeit, das unheilvolle Gewicht der bevorstehenden Dunkelheit. Sie standen am Rande eines unsichtbaren Abgrunds, und die Worte der alten Hexe schienen der letzte Anker zu sein, der sie noch vor dem Sturz ins Verderben bewahrte.
Doch die Dinge nahmen bereits ihren Lauf:
Kamura, getrieben von einer emotionalen Turbulenz, begann heftig zu atmen. Seine Brust hob und senkte sich rasch, während die aufgewühlten Emotionen ihn zu überwältigen drohten.
»Das kannst du nicht machen! Sag es uns!«, schrie Kamura, die Zähne zusammengepresst, seine Stimme ein rauer Ausbruch verzweifelter Forderung. Die Worte brachen aus ihm heraus, begleitet von einem Zittern, das seinen Körper erfasste und seine Stimme mit einer rohen, schneidenden Intensität verstärkte. Er stand da, gefangen zwischen Wut und Angst, seine Augen verzweifelt auf Yaga gerichtet, die stille Bewahrerin von Wahrheiten, die zu schwer für sie alle zu tragen waren. Sie war das Hindernis zwischen ihm und der Rettung vor einer unbekannten Herausforderung.
Seine Brust hob und senkte sich in unregelmäßigen Abständen, als bereitete er sich auf die Herausforderung seines Lebens vor. Jeder Atemzug schien ein Sturm zu sein, der in seinem Inneren tobte, jeder Ausdruck seines Gesichts ein Kampf gegen die unsichtbaren Kräfte, die ihn umgaben.
Unbewusst entzündete sich das türkisfarbene Feuer in seinen Augen, ein wildes, anmutiges Flackern, das seine innere Macht in einer Aura ungestümer Entschlossenheit offenbarte. Wie von einem unsichtbaren Dirigenten geleitet, entfaltete sich erneut das Spektakel seiner Kräfte, eine Manifestation unheilvoller Energien, die sich ihren Weg bahnten.
Mit jedem Aufflammen dieser Macht vibrierte die Erde in brummender Resonanz. Tiefgründige Schwingungen durchzogen den Raum, leise und doch mächtig, und erfüllten die Luft mit einer Spannung, die beinahe zu spüren war.
Diese subtilen und doch durchdringenden Schwingungen webten ein unsichtbares Netz, das die Anwesenden in seinen Bann zog, eine stille, doch gewaltige Präsenz, die jedes Herz im Rhythmus des unheilvollen Pulses schlagen ließ.
Nun eskalierten die Ereignisse in einem rasenden Tempo, eine Kette von Momenten, die sich überschlugen, als wären sie von der Hand des Schicksals persönlich inszeniert.
Yaga, deren Augen die Schwere der Situation mit einer durchdringenden Klarheit erfassten, sprang mit einer Agilität auf, die niemand für möglich gehalten hätte.
Sie eilte voran, getrieben von einer Mischung aus Sorge und einer unerschütterlichen Entschlossenheit. Ihre Augen, nun erleuchtet von einem tiefen Indigo, spiegelten die Licht-Flammen ihres Stabes wider, dessen indigoblaues Feuermeer mit jeder Bewegung an Intensität gewann.
Es war, als würden ihre Augen und der Stab in perfekter Synchronizität mit den sich entfaltenden Energien tanzen. Ein Tanz, der die Schwelle zwischen der Macht und der Materie verwischte, während sie sich der unmittelbaren Gefahr stellte, die ihre Welt zu verschlingen drohte.
Taohs Augen füllten sich mit Tränen, die in dem schwachen Licht der Lumiflora schimmerten. Jeder Tropfen spiegelte die Zerrissenheit und das Chaos wider, das sie umgab. Er griff nach dem Arm seines Bruders, seine Finger krampfhaft um dessen Unterarm geschlungen, getrieben von einer Entschlossenheit, die tief in seinem Herzen brannte. Er war fest entschlossen, sich und seinen Bruder aus dem gefährlichen Chaos zu befreien, das drohte, sie beide zu verschlingen.
Die Situation verschärfte sich weiter, als die Wände zu beben begannen und Putz von der Decke fiel, Zeugen der intensiven Kräfte, die sich entluden.
Kamura, dessen Miene von Verwirrung und Unruhe geprägt war, schien in seinen Gedanken gefangen. Er starrte seinen Bruder an, sein Blick ein Strudel aus Emotionen – Angst, Wut, und eine tiefe, unaussprechliche Verwirrung ins Gesicht gemeißelt.
Yaga, die sich entschlossen zum Gegenschlag vorbereitete, kanalisierte ihre Kräfte, bereit, jegliche Bedrohung abzuwehren. Ihre Augen funkelten mit einer Intensität, die sowohl Furcht einflößte als auch Hoffnung gab.
»Hör auf den Kleinen, willst du uns denn alle umbringen, Junge?«