Im schwindenden Nachhall des grünen Lichtblitzes, der ihre Augen überflutete, prägte sich das Bild eines verstummenden Mädchens unauslöschlich in Zelias Gedächtnis ein. Doch der schockierte Blick von Kamura, der starr etwas hinter ihr fixierte, ließ sie instinktiv spüren, dass eine abscheuliche Unregelmäßigkeit die Realität entstellt hatte. 

Im letzten Moment sprang sie zur Seite, fühlte den unnatürlich starken Luftstoß, als Tokats massiger Körper in einer Geschwindigkeit, die den Verstand sprengte, an ihr vorbeisauste. Geschickt nutzte sie die entstandenen Fliehkräfte, welche durch die schnelle Drehung auf ihren Körper einwirkten, während sie die erste Charge Nadeln zwischen die Finger nahm und in einem Schwung mit unheimlicher Präzision im Bruchteil einer Sekunde auf ihn abfeuerte.

Tokat prallte durch die kaum steuerbare Wucht seines Angriffs gegen die Trümmer, wich dennoch aus, aber nicht schnell genug. Eine der Nadeln streifte seine Wange und hinterließ eine tiefe, blutige Furche. Kurz flimmerten seine roten Augen, verloren an Schwäche, offenbarten seine tiefbraunen Augen. Er knurrte wütend und seine Augen leuchteten erneut in einem bedrohlichen Rot.

»Ama, was tust du?!«, rief Kamura, seine Stimme überschlug sich vor Panik. Doch Zelia hörte nicht hin. Sie war in einen Tunnelblick gefallen, fokussiert nur auf Tokat.

Tokat schwang seine mächtigen Arme, seine Muskeln erweckten fast den Eindruck, sie würden durch die Blut pumpenden Adern platzen, als er Zelia mit voller Wucht zu treffen versuchte. Doch sie war schneller, tänzelte wie ein Schatten um ihn herum, immer wieder zustechend.

Blut spritzte, als Zelia eine tiefe Wunde in Tokats Seite riss. Er stöhnte vor Schmerz, aber seine Augen flammten nur noch mehr vor Wut, jedoch ihrer Leuchtkraft beraubt. Mit einem tiefen Schrei griff er sie an, seine Bewegungen wild und unberechenbar. Zelia wich geschickt aus, ihre Augen funkelten kalt und berechnend. Sie hatte ein paar Sekunden gewonnen, in denen er seine Kräfte nicht in vollem Umfang nutzen könnte.

Die beiden stießen zusammen, fielen und rollten über den harten, blutgetränkten Boden. Zelia spürte die Kälte des Stahls, als Tokat sie an der Schulter packte und gegen die Trümmer schleuderte. Sie spürte einen stechenden Schmerz in ihrem Rücken, aber sie biss die Zähne zusammen und sprang wieder auf die Füße.

Tokat atmete schwer, sein Gesicht war verzerrt vor Wut und Schmerz. »Du Närrin! Du riskierst alles für einen Kampf, den du nicht gewinnen kannst!« schrie er.

Zelia lächelte kalt. »Vielleicht. Aber ich werde kämpfen, bis zum letzten Atemzug.«

Plötzlich erbebte der Boden erneut, durchzogen von tiefen Vibrationen – ausgehend von Kamura, der sich ohne etwas zu verstehen in den Kampf einschaltete.

Im nächsten Moment entzündeten sich wieder die roten Augen bei Tokat!

»HALT KAMURA!«, schrie sie entsetzt, als sie verstand, was gerade passierte. »Du gibst ihm Kraft. Halt dich raus! Bring die anderen in Sicherheit!«

Sie deutete verzweifelt und doch fast beiläufig auf Taoh. Doch wo war der Junge mit weißem Haar? Es blieb keine Zeit. Tokat atmete bereits wieder auf, als würde eine frische Brise seine feuerroten Adern abkühlen und mit neuer Energie aufladen.

»Nein, wie rührend!« bellte Tokat. »Hast deine Familie mitgebracht?«

Bei diesen Worten entbrannte erneut ein Feuer in ihr. Sie stürzte sich wieder auf ihn, ihre pechschwarzen Nadeln blitzten im schwachen Licht. Tokat brüllte und schlug mit aller Kraft zu, aber Zelia, wie ein Geist, war immer einen Schritt voraus. Sie spürte, wie ihre Kräfte nachließen, doch ignorierte den Schmerz und die Erschöpfung.

Währenddessen begab sich Kamura gedankenlos in die Nähe des Spalts – packte sich das Mädchen und den ohnmächtigen Tammuz und versuchte, die beiden so schnell wie möglich vom Schlachtfeld zu führen, während er nach Taoh pfiff.

Tokats Wachen waren herbeigeeilt, hatten sich bereits in Kreisform um den Kampf versammelt. Begierig, ihren Anführer in Aktion zu sehen und bei allem Willen unfähig, der schieren Geschwindigkeit des Kampfes überhaupt nur folgen zu können.

Dann, in einem Moment der Schwäche, packte Tokat ihre Hand und verdrehte sie, dass die Nadeln aus ihren Fingern fielen. Er warf sie zu Boden und setzte sich auf sie, seine Augen brannten vor tödlicher Entschlossenheit. »Das ist das Ende, Zelia.«

Zelia spürte, wie die Welt um sie herum verblasste, aber in ihren Augen brannte noch immer der unbändige Wille zu überleben. Mit einer letzten Anstrengung griff sie nach ihrer verborgenen Obsidian-Klinge in ihrem Stiefel und stach zu. Tokat brüllte auf, als die Klinge sich tief in seine Seite bohrte.

Mit einem verzweifelten Schrei riss er sich von ihr los, taumelte zurück und starrte sie ungläubig an. Blut quoll aus der tiefen Wunde und seine dunklen Augen weiteten sich vor Schmerz und Schrecken. Zelia stützte sich schwer atmend auf und blickte ihm fest in die Augen.

»Du magst stärker sein, Tokat«, keuchte sie, »aber ich werde niemals aufgeben.«

Tokat fiel auf die Knie, seine Kraft schwand, und seine Augen flackerten. Zelia griff nach ihren Nadeln und ging auf ihn zu. Kamura beobachtete die Szenerie angespannt, hilflos und hoffend, dass dies das Ende sei und er sogleich erfahren würde, was hier gerade vor sich ging. Aus dem Augenwinkel sah er jedoch eine unbewusst bereits erwartete Geste vollzogen werden:

Ein Bein vor das andere gestellt, den Arm ausladend nach hinten gestreckt und bereits im nächsten Moment flog ein langes spitzes Geschoss auf den schutzlosen Rücken seiner Mutter zu! In Zeitlupe sah er die Wiederholung seines erst kürzlich entstandenen Traumas sich vollziehen. Nun auch seine Mutter! Waren sie inzwischen vollends verflucht? War es vielleicht doch seit der Junge -.

Doch bevor er diesen Gedanken vollziehen konnte, überkam ihn absoluter Widerwille. Eine Flamme entbrannte in ihm, geschürt durch die letzten Worte Eladans. Ein absolutes »NEIN« gegen das Schicksal, gegen den Feind, gegen die Welt vereinnahmte sein gesamtes Sein.

Wie von allein vokalisierte es sich mit und der Druck in seinem Kehlkopf nahm derart zu, dass er das Gefühl hatte, sein Hals würde jeden Moment aufplatzen. Genau diese Sorge wurde im Bruchteil dieser Sekunde zur Realität – ein unvorstellbarer Schmerz, als würde seine Kehle durchschnitten werden, überkam ihn. Diese ungeheure Energie musste sofort raus! In einem verzweifelten Versuch, diese Welt, das Schicksal und seinem eigenen Tod entgegenzuwirken, formte er wie von selbst das Wort:

»NEIN!«

Für ihn war es in diesem Moment das mächtigste Wort im Universum. Die gebündelte, losgelöste Kraft manifestierte sich in einer Schockwelle, die mit ungeheurem Druck gleich eines Geschosses über das Schlachtfeld flog. Jene Unglücklichen, die der blitzschnellen Schallkugel nahestanden, wurden mit Schmerzensschreien von den Füßen gerissen.

Der sich im vollen Flug befindliche Speer verbog bei dem Aufprall der Druckwelle und wurde gleichsam von ihr mitgerissen. Doch kurz darauf schmetterte der Speer samt Schallkugel mit derartiger Kraft auf die Trümmer auf, dass es den Boden zum Beben brachte und die Trümmer in alle Richtungen schleuderte. Keinen Moment später tat sich der Boden auf, knackend und reißend – sodass die Trümmer allesamt mehrere Stockwerke tiefer stürzten.

Tokat machte einen Satz zurück, den aufkommenden Rissen im Boden ausweichend – doch Zelia stand zu nahe. Sie lief, die Hände ausgestreckt, auf Kamura zu, sprang und bekam seine Hand im letzten Moment zu fassen. Doch der ungeheure Schmerz in seinem Hals entzog ihm jegliche Kraft, um sie zu halten. Kamura versuchte einen Schmerzensschrei von sich zu geben, doch nur ein quietschender, kratziger Laut entfloh schmerzerfüllt seinem Munde.

»AMA!«, schrie Taoh, der sich sogleich in Bewegung gesetzt hatte, unfähig, dem Untergang seiner Familie zuzuschauen, jegliche Furcht vergessend – in Anbetracht der viel größten Angst, ein weiteres Familienmitglied zu verlieren. Ein weiteres Knacken. Der ganze Bereich drohte zu kollabieren.

»Flieht! Lauft!« flehte Zelia, panisch versuchend, sich von Kamura loszureißen, doch dieser blickte vor Schmerz geistesabwesend in die Leere – dennoch unfähig loszulassen. Im nächsten Moment brach der Boden vollends auf und sie stürzten in die Dunkelheit. Fallend. Schreiend. Gemeinsam.