Für Taoh, der sein Dasein bislang in der Abgeschiedenheit und fern der schummrigen Gassen und zuweilen beunruhigenden Szenerien des Marktes verbracht hatte, tat sich eine neue Welt auf. Sobald er seinen ersten Schritt auf den Markt von Naraka gesetzt hatte, fand er sich in einem Wirbel aus Farben und Klängen wieder, der seine Sinne überwältigte.
Die fluoreszierenden Farben, die wie ein schimmernder Nebel über den Ständen schwebten, tauchten die Szenerie in ein surreales Lichtspektakel. Jeder Stand erstrahlte in seiner eigenen Aura, von zartem Lavendel hin zu pulsierendem Rubinrot. Ein ätherischer Tanz, der die Besucher in seinen Bann zog.
Zwischen den Besuchern schwebten kleine Plattformen, auf denen kunstvoll gefertigte Artefakte aus längst vergessenen Zeiten ruhten. Als Taoh seine Hand nach einer schimmernden, goldenen Kugel ausstreckte, die mit filigranen Mustern verziert in der Luft tanzte, erklang eine zarte Frequenz. Im selben Augenblick begann die Kugel, sich mit unvorstellbarer Geschwindigkeit um ihre eigene Achse zu drehen und emittierte ein wunderschönes, indigofarbenes Licht.
»Das, mein junger Freund, ist eine Lumisphäre, eine der raffiniertesten Schöpfungen der Kymatik«, begann der Verkäufer, seine Augen leuchteten vor Begeisterung. »Sie nutzt die verborgenen Energien des Kristalls, um die Umgebung wahrzunehmen und darauf zu reagieren.«
Taoh lauschte dem akustischen Spektakel; sanfte, harmonische Klänge entsprangen dem Apparat und fügten sich nahtlos in die Klangkulisse des Marktes ein. Jede Stimme, jeder Klang der Menge wurde Teil dieser Komposition.
»Siehst du, wie sie reagiert?«, fuhr der Verkäufer fort. »Die Lumisphäre erfasst nicht nur visuelle und akustische Daten, sondern auch emotionale Schwingungen. Sie passt ihre Farbe und ihr Leuchten an, um die Atmosphäre im Raum zu verbessern oder zu verändern.«
Der Verkäufer legte seine Hand neben die Kugel, und sofort veränderte sich das Licht zu einem sanften Rosa. »Jedes Muster auf ihrer Oberfläche ist nicht nur Kunst, sondern auch Teil eines komplexen Netzwerks, das es ihr erlaubt, ihre kymatischen Wellen zu lenken und zu modulieren.«
Taohs Augen funkelten, während in seinem Inneren die bereits die Ideen brodelten, was er alles mit der Apparatur anfangen könnte.
»Außerdem«, fuhr er fort, während er auf die sanft pulsierenden Lichter wies, »kann die Lumisphäre auch als musikalischer Harmonisator dienen. Sie synchronisiert die Hintergrundmusik mit den aktuellen Umgebungsgeräuschen, um eine harmonische Klangkulisse zu schaffen, die perfekt zur aktuellen Stimmung passt.«
Taoh war fasziniert. Die Kugel erschien ihm lebendig, als wäre sie ein kleiner, bewusster Begleiter.
Der Verkäufer lächelte, als er beobachtete, wie Taoh von der Magie der Lumisphäre verzaubert wurde. »Eine wahrlich einzigartige Schöpfung, die nicht nur das Heim beleben, sondern auch Ihre Seele beruhigen wird.«
Taoh blickte kurz zu Kamura, eine stumme Frage in seinen Augen, ob er die Kugel nicht vielleicht behalten könnte. Das dringende Gefühl, plötzlich etwas entdeckt zu haben, das ihm eventuell schon immer gefehlt hatte, ohne dass er es wusste.
»Der Markt ist groß, Taoh, es gibt noch so vieles zu sehen!«, lachte Kamura ihn an. »Und falls du doch eine Lumisphäre benötigen solltest, kannst du gerne darauf sparen. Du wirst dir schließlich für jeden deiner Marktgänge mit mir ein wenig dazuverdienen!«, fügte Kamura gewissenhaft hinzu.
Taoh nickte, ein wenig enttäuscht, noch immer fasziniert von den Möglichkeiten, die die Lumisphäre bot. Er wandte sich noch einmal um, um einen letzten Blick auf das schimmernde Artefakt zu werfen, dessen Lichter und Töne weiterhin sanft durch die Luft schwebten, sich harmonisch in das geschäftige Treiben des Marktes einfügten.
»Vielleicht nächstes Mal", murmelte er leise zu sich selbst und folgte dann Kamura, der bereits zu einem anderen Stand weitergezogen war, der mit exotischen Gewürzen und duftenden Kräutern lockte.
Doch nicht nur für die Augen war der Markt ein Fest, sondern auch für die Nase. Jeder Bereich hatte seinen eigenen, unverwechselbaren Duft. Hier tanzten süße, beruhigende Gewürze in der Luft, dort lockten die scharfen, belebenden Essenzen seltener Pflanzen. Die Düfte waren wie unsichtbare Führer, die die Besucher durch das Labyrinth der Stände leiteten, jeden auf seinem ganz persönlichen Weg.
In den lebhaften Gängen des Marktes begegneten die beiden interaktiven Kymatik-Installationen, die auf die Bewegungen der Marktgänger reagierten.
Taoh, gebannt von diesem faszinierenden Schauspiel, wandte sich mit großen, glasigen Augen an Kamura. »Darf ich?«, fragte er, seine Stimme voller Ehrfurcht und kaum unterdrückter Begeisterung. Kamura, der die Neugier seines jungen Begleiters spürte, nickte kurz und stolz.
Ohne zu zögern drängelte sich Taoh durch die Menge nach ganz vorn, sein schlanker Körper schlüpfte geschickt zwischen den anderen Besuchern hindurch. Als er endlich vor der Installation stand, hielt er einen Moment inne, überwältigt von der Schönheit und Komplexität dessen, was sich vor ihm entfaltete.
Die schwebenden Kristalle, jeder einzigartig in Form und Farbe, veränderten ihre Anordnung mit jeder Bewegung, die in ihrer Nähe gemacht wurde. Sie tanzten in der Luft, zogen leuchtende Muster, die sich wie lumineszente Pinselstriche über die neblige Leinwand des Marktes zogen.
Harmonische Klänge, geboren aus der Interaktion von Bewegung und Kristall, erfüllten die Atmosphäre. Verwundert sah Taoh nach Kamura.
»Sie reagieren auf das Magnetfeld deines Körpers. Irgendwo unter der Theke ist vermutlich ein aufgeladener Resonator versteckt, der mit ihnen verschränkt ist. Diese Exemplare sind recht selten. Teuer und hoch entwickelt. Aus der Alten Welt ... Aber vermutlich auch nicht viel mehr als eine Spielerei für die Oberstädter ... und ohne das ständige Aufladen durch einen Kymisten unbrauchbar«, erklärte Kamura.
Taoh, inspiriert von diesem Anblick, begann sich zu bewegen, seine Gesten wurden zu einem Tanz, der die Kristalle zum Leben erweckte. Er ahmte einen tänzerischen Kampfstil nach, den er schon so oft bei Kamura beobachtet hatte – fließende Bewegungen, präzise Schritte, eine Verschmelzung von Körper und Geist.
Kamura beobachtete Taoh aus der Menge, ein wissendes Lächeln umspielte seine Lippen. Es war, als wenn sein kleiner Bruder in diesem Moment wuchs, als würde er die Magie dieses Ortes in sich aufnehmen. Ein Anblick, der sein Herz mit Stolz und Hoffnung erfüllte – die Gewissheit, dass Taoh bald bereit sein würde, seine eigenen Reisen anzutreten und die Geheimnisse dieser Welt zu ergründen.
Als sich ihre Blicke wieder trafen, machte Kamura eine beiläufige Geste, dass sie weiter ziehen sollten. Taoh folgte Kamura ohne Widerrede weiter durch das Gewühl, tief beeindruckt von der Schönheit und Magie, die ihn umgaben.
»Spürst du es, Taoh?«, fragte Kamura mit strahlendem Blick, während sie sich durch die lebendige Flut der Marktgänger bewegten – fast, als sei er selbst angesteckt von Taoh's verzauberten Blick.
»Der Markt von Naraka atmet. Jeder Pilzhut, jede mit Myzel durchwirkte Gewandung, die unsere Hände verlässt, schenkt einem Zu-Kur Hoffnung auf ein weiteres Morgen. Unsere Waren sind weit mehr als bloße Gegenstände; sie sind der Herzschlag des Überlebens.«
Taoh, dessen Augen sich weiteten, um die Fülle des Lebens, um ihn herum einzufangen, erwiderte zögerlich: »Ich ... es überwältigt mich. Ama sprach immer von der Wildheit des Marktes, als wäre es ein Ort, den ich meiden sollte. Aber das hier. Das ist einfach unglaublich!«
Und in der Tat, Zelia hatte die Wahrheit gesprochen. Der Markt von Naraka war kein Zufluchtsort für die Naiven. Abseits der erleuchteten Stände, die mit den Notwendigkeiten für das Leben unter der Erde prahlten, lauerten Schatten, in denen Gestalten von zweifelhafter Natur Geschäfte führten, die das Tageslicht scheuten.
Flüsternde Gerüchte über mächtige Artefakte, die die Nacht erhellten, und verbotene kymatische Apparaturen, die den Verstand eines Unschuldigen in den Wahnsinn treiben können, waren nicht schwer unter den Ladentheken zu finden.
»Ja, der Markt ist voller Gefahren, Taoh. Es lauern Kräfte, die nach leichtgläubigen Seelen gieren, und Waren, die besser im Dunkel verweilen«, gestand Kamura, seine Augen wachsam über die Menschenmenge schweifend.
»Doch neben mir wirst du lernen, die Schatten zu meiden und die Lichtungen zu finden. Deine Lehrzeit in den Geheimnissen des Überlebens beginnt heute«, verkündete Kamura feierlich.
Ihre Entdeckungsreise führte sie weiter zu einem Stand, an dem wunderschöne Trachten feilgeboten wurden, deren Stoffe in den lebhaftesten Farben schimmerten, die Taoh je gesehen hatte.
Diese Gewänder waren aus einem Material, das sowohl weich als auch widerstandsfähig war, gewebt aus den feinen Fäden seltener, unterirdischer Seidenwürmer, veredelt mit Mustern, die an die Strukturen der geheimnisvollen Pilze und Moosarten Narakas erinnerten.
Als sie sich den Essensständen näherten, wurden ihre Nasen von einem Potpourri exotischer Düfte erfüllt.
Hier gab es Gerichte, die Taohs Vorstellungskraft überstiegen – von gebratenen Wurzeln, die im Dunkeln wuchsen und ein süßlich-erdiges Aroma verströmten, hin zu fermentierten Pilzbrühen, die mit Gewürzen verfeinert waren, deren Namen Taoh noch nie gehört hatte.
Ein besonders beliebter Stand bot kleine, knusprige Insekten an, die zerstampft, frittiert und anschließend in würzige Soßen getaucht und auf Spießen serviert wurden.
Taoh staunte, dass auf dem Markt von Naraka selbst das Gewöhnliche in etwas Außergewöhnliches verwandelt werden konnte.
»Glaub mir, Taoh, die isst du ein Mal und dann nicht wieder. Dein Magen ist für solcherlei Speisen nicht ausgestattet. Die Zu-Kur kommen oft mit den merkwürdigsten Vorlieben für Gerichte zurück, falls überhaupt. Für sie gilt das scheinbar als Spezialität. Was Hunger so alles mit einem macht, nicht wahr?«, scherzte Kamura, doch nur einen kurzen Moment später verlor sich sein Lächeln in dunklere Gefilde von Gedanken, die schon seit geraumer Zeit nicht mehr an die Oberfläche gedrungen waren. In einem Versuch, das Thema zu wechseln, fragte er direkt im Anschluss: »Du musst hungrig sein. Ich kenne hier in der Nähe einen guten Stand!«
Doch Taoh hatte scheinbar nicht zugehört: Inmitten der bunten Vielfalt des Marktes entdeckte er bereits einen neuen Stand, der sich durch seine Schlichtheit von den anderen abhob. Auf einem rustikalen Tisch lag eine einfache Steinplatte, verziert mit filigranen, kymatischen Mustern, die in das Gestein eingraviert waren. Die Verkäuferin, eine hübsche junge Dame mit einem freundlichen Lächeln, platzierte gerade einen kleinen, glänzenden Kristall in eine Vertiefung in der Mitte der Platte.
»Was ist das?«, fragte Taoh neugierig, während er auf die Steinplatte deutete.
Kamura, der neben ihm stand, beugte sich vor, um einen besseren Blick zu erhaschen. »Hmm ... das müsste ein Wasser-Resonator sein. Er kann Wasser in Sekunden erhitzen, einfach durch die Macht der Frequenzen.«
Die junge Verkäuferin nickte zustimmend und winkte Taoh näher heran. »Beobachte«, sagte sie und stellte einen Topf mit Wasser auf die Platte. Kaum berührte der Topf die Oberfläche, begann das Wasser zu brodeln und dampfte heftig auf. Taoh schreckte zurück.
»Wie funktioniert das?«, fragte Taoh, seine Augen weit aufgerissen vor Staunen.
Kamura erklärte: »Alles in der Welt hat seine eigene Frequenz oder Schwingung. Das gilt auch für heißes Wasser. Diese Platte hier«, er deutete auf den Kristall unter der Apparatur, »ist darauf programmiert, die Frequenz von heißem Wasser zu emulieren. Wenn man den Kristall dreht, aktiviert er das Gerät, das dann die richtige Frequenz aussendet. Das Wasser erhitzt sich sofort, als wäre es magisch.«
Die Verkäuferin nickte zufrieden und zustimmend zu.
»Das ist unglaublich! Warum haben wir nicht so etwas zu Hause?«, fragte Taoh, während er immer noch fasziniert dem dampfenden Topf zusah.
Kamura lächelte leicht, während sein Blick erneut kurz die junge Verkäuferin streifte, deren Augen im Licht des Farbenspiels des Marktes tanzten.
»Nun, solche Geräte sind unglaublich schwer zu finden. Zudem sind sie in der Regel denjenigen vorbehalten, die sie am dringendsten benötigen – den Zu-Kur, die in den Höhlen außerhalb der Stadt leben. Dort kann der Einsatz traditioneller Feuerquellen zu gefährlich sein.«
Sie fügte hinzu, mit einem Lächeln, das Taohs Neugier nur noch mehr entflammte,
»Es ist unser Ziel, dass eines Tages jeder Mensch in Naraka Zugang zu solch sicherer und sauberer Energie haben kann. Bis dahin arbeiten wir daran, diese Technologie zu entschlüsseln, um sie schon bald zu reproduzieren.«
Taoh nickte, immer noch beeindruckt von der Demonstration.
»Ich hoffe, das wird bald geschehen. Es könnte so vielen helfen.«
"Genau das hoffen wir auch«, erwiderte die Verkäuferin. Ihr Lächeln schien für Kamura mit dem Glanz der Kristalle um die Wette zu strahlen. »Und wer weiß? Vielleicht führt Ihre Neugier eines Tages dazu, dass auch Sie in diesem Bereich arbeiten werden.«
Taoh lachte, beeindruckt von der Idee. »Vielleicht«, sagte er, »aber für heute denke ich, dass ich noch viel zu lernen habe.«
Kamura legte ihm streichelnd eine Hand auf den Kopf und führte ihn sanft vom Stand weg. »Es gibt noch viel zu sehen, Taoh. Lass uns weitergehen und schauen, was der Markt sonst noch zu bieten hat.«
Mit einem warmen Lächeln verabschiedeten sich die beiden, während Kamura der Händlerin mit seinen Händen einige für Taoh unverständliche Gesten zuwarf. Er zwinkerte ihr zu, formte mit seinen Lippen Worte, ohne dass ein Laut zu hören war, und verneigte sich respektvoll. Die Verkäuferin nickte verständnisvoll und erwiderte das Zwinkern mit einem schelmischen Lächeln, das Taoh verriet, dass zwischen den beiden eine stille Vertrautheit bestehen musste.
Als sie sich abwandten, um ihren Weg über den Markt fortzusetzen, konnte er nicht anders, als Kamura zu fragen: »Was hast du ihr da gesagt?«
Kamura schmunzelte, ein Geheimnis schwingend in seiner Antwort. »Ach, nichts Weltbewegendes. Nur ein kleiner Scherz zwischen alten Freunden. Manchmal braucht es keine Worte, um verstanden zu werden, kleiner Bruder.«
Als sie einen weiteren schillernden Stand erreichten, an dem ein Verkäufer gerade seine prächtigen Pilzhüte und Myzel-durchzogenen Gewänder anpries, hielt Kamura schließlich inne.
Er hob einen der Pilzhüte auf, betrachtete ihn mit einem prüfenden Blick und ließ dann ein scharfsinniges Lächeln auf seinen Lippen spielen.
»Ein prächtiges Exemplar, nicht wahr? Aber sieh hier« wies er Taoh an und zeigte auf eine kaum sichtbare Stelle am Rande des Pilzhutes, während er anfängt, ihn leicht auf seine Hand zu klopfen und schwarzer Staub sich auf seinen Händen sammelt. Er zog die Augenbrauen zusammen.
»Hast dir richtig Mühe gegeben ...«, murmelte Kamura mit einem plötzlichen Wechsel in der Stimmung und fügte, seinen Kopf schüttelnd, in ernsterem Ton hinzu:
»Sporen von einem Feuerschwamm. ...Jedermann hier unten weiß, dass die in den kalten Höhlen nicht gedeihen ...«
Er erhob seine Stimme etwas mehr, dem Händler zugewandt:
»Du hast wohl einfach ein paar der Sporen über den Hut gestreut und ihn dann befeuchtet, nicht wahr? Ein wenig Fluoreszenz eingespritzt für die Leuchtkraft. Tatsächlich ist er alt, nahezu vertrocknet. Erkennst du die Ränder? Sie beginnen zu fransen, ein sicheres Zeichen dafür, dass er seine Lebenskraft verloren hat. Wie soll ein Zu-Kur mit einem solchen Hut überleben? Begreifst du eigentlich, was du hier tust?«
Die Miene des Händlers verfinsterte sich schlagartig, und ein kalter, angewiderter Ausdruck huschte über sein Gesicht. »Dieses Gesocks ist bereits verdammt. Kaum einer von denen überlebt überhaupt eine Woche da draußen. Ein guter Hut wäre völlige Verschwendung. Sie würden nicht mal in den Genuss kommen, ihn zu verzehren. Ich verschwende meine kostbaren Waren doch nicht für Kriminelle.«
Taoh wusste nur zu gut, was nun passieren würde. Er empfand eben den gleichen tiefen Schlag in die Magengrube, der sich in binnen Sekunden wie ein Lauffeuer über seinen Körper legte und seine nun geballten Fäuste pulsieren ließen.
Kamura jedoch blieb äußerlich von diesen Symptomen unberührt. Stattdessen begannen seine Augen von Moment zu Moment heller zu leuchten und nahmen einen unnatürlichen Blauton an, der zu seiner eigenen Lichtquelle wurde.
Als er den Mund öffnete, sprach er mit einer unglaublichen Ruhe, Klarheit und Deutlichkeit, doch seine Worte hallten mit einer Kraft über den Markt, dass alles um ihn herum für einen Moment jegliche Handlung einstellte. Seine Kymatik war erwacht. Mit unvorstellbarer Lautstärke und Klarheit verkündete er:
»Mein Bruder war kein Krimineller«, verkündete Kamura, seine Stimme ein Leuchtfeuer tiefster Überzeugung.
»Er war ein Wahrheitssuchender, ein Abenteurer. Er wagte es, über die Grenzen dieser Stadt hinauszublicken, um Antworten zu finden, Antworten, die uns allen helfen könnten. Doch es war die Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit von Menschen wie dir, die ihn das Leben kosteten. Wegen mangelhafter Ausrüstung, wegen Waren, die im entscheidenden Moment versagten.«
Taoh wich instinktiv zurück, seine Hände reflexartig an den Ohren, als wollte er die gewaltige Welle des Schalls abwehren, die auf ihn einprasselte. Es war eine Stimme, die nicht nur hörbar, sondern auch fühlbar war, eine Stimme, die selbst Knochen in Schwingung versetzte, von denen Taoh nicht wusste, dass sie existieren, und plötzlich war er heilfroh, dass er nichts zum Frühstück hatte. Sein in Vibration versetzter Magen hätte seinen Inhalt nicht lange bei sich behalten. Mit jedem Wort, das Kamura sprach, wurde seine Stimme lauter, intensiver, ein Orkan der Leidenschaft und der Rechtschaffenheit.
»Du stehst hier und rechtfertigst deine Handlungen mit Verachtung und Kälte, ohne zu verstehen, welch grausame Welt jenseits der Stadttore lauert«, hallte seine Stimme, »Die Zu-Kur, die du so geringschätzig als 'Gesocks' bezeichnest, kämpfen jeden Tag um ihr Überleben.
Sie sind es, die sich in die dunkelsten Tiefen wagen, die sich den Gefahren stellen, von denen wir uns nur zu flüstern trauen. Sie sind es, mit deren Kristallen du dir hier tagein, tagaus dein Brot verdienst und welche das Licht dieser Stadt nicht erlöschen lassen.«
Er ließ seinen Blick über die Menge schweifen und senkte seinen Blick, und für einen Moment schien sein intensives Leuchten zu verblassen, nur um dann an noch mehr Stärke zu gewinnen.
»Es ist unsere Pflicht«, fuhr er fort, seine Stimme nun ein donnerndes Crescendo, »für jene zu sorgen, die sich in Gefahr begeben, um uns allen ein besseres Leben zu ermöglichen. Deine Gier und dein Mangel an Verantwortungsbewusstsein machen dich zu einem Teil des Problems. Wir alle hier müssen begreifen, dass jedes Leben wertvoll ist. Dass wir in dieser Dunkelheit nur gemeinsam überleben können, indem wir füreinander sorgen und einstehen.«
Die darauffolgende Stille war erfüllt von einer tiefen, fast greifbaren Nachdenklichkeit. Kamuras Worte hatten nicht nur den Händler erreicht, sondern jeden einzelnen Anwesenden in ihren Bann gezogen.
Der Händler, plötzlich der Mittelpunkt einer unausgesprochenen Anklage, fand sich unfähig, gegen die Woge der Überzeugung anzukämpfen, die Kamura entfesselt hatte. Mit einem Mal realisierte er, wie dutzende Augen ihn durchbohrten und begriff schnell sein Unvermögen, in diesem ungleichen Duell zu bestehen.
»Das ja mal wieder mein Glück ... 'N ideologischer Kymist. Was's nich alles gibt ...«, nuschelte der Händler in zynischem Ton.
Mit einer Bewegung, die so geschmeidig war, als würde er eine unsichtbare Maske überstreifen, verwandelte er sich erneut in den Inbegriff eines Händlers, dessen Augen vor unbändiger Überzeugung leuchteten Seine Worte, geschickt gewählt und mit einer Leichtigkeit vorgetragen, die seine vorherige Verlegenheit Lügen strafte, schienen für einen Moment die Atmosphäre zu erleichtern.
»Nein, nein ... Ich muss selbst übers Ohr gehauen worden sein ... Gerade gestern tauschte ich diesen Hut gegen einen meiner frischen ein, eigens hergestellten, um mein Sortiment zu vergrößern. Leider habe ich, anders als du, nicht die scharfen Augen eines Kymisten. Kommt her, kommt her, ich zeige euch mein eigenes Sortiment, nur die beste Ware.«
Innerlich brodelnd, jedoch auch verwirrt darüber, warum der Händler bessere Ware versteckt hatte, bohrte sich Kamuras Blick enttäuscht in den Mann. Sein Blick, hart und durchdringend, schien den Händler fast körperlich zu treffen, bevor er sich voll wieder abrupt abwandte und mit einer Geschwindigkeit davoneilte, die seine Begleitung ins Straucheln brachte. »Komm schon, wir gehen«, mahnte er seinen kleinen Bruder.
Taoh, dessen Beine sich in einem verzweifelten Versuch, Schritt zu halten, fast zu einem Lauf beschleunigten, keuchte: »Wohin führt uns dein Weg?«
»Schnell! Hier wimmelt es jeden Moment nur so von Auranen«, warnte Kamura in strengem Tonfall, während sie sich rasch immer tiefer in das dunkle Labyrinth der Gassen des Duats vorwagten.